Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

sen ward, als die Kunst sie fein ausdrück-
te. Beide bemerkten die zarte Blüthe
des Lebens, in der sich die Geschlechter
gleichsam trennen wollen, und doch noch
zusammen wohnen; (ein Punkt, der von
den Neuern sehr mißverstanden ist, und
den auch die spätere Kunst vielleicht zu
üppig ausgebildet,) als den wahren Reiz
der Schönheit. Kein Jüngling, dünkt
mich, kann Einen dieser Jünglinge an-
schauen, ohne daß die heilige Schaam sich
sanft auf seine Stirn senke, und jeden
Frevel, jede Frechheit von ihm verscheu-
che.

Fügen wir hiezu die Stimme der Mu-
sen, die das Gefühl der Freundschaft,
der Schwester- und Bruderliebe,
der Pietät gegen Eltern, gegen Wohl-
thäter des Menschengeschlechts,
gegen Götter und Helden singet; hö-

ſen ward, als die Kunſt ſie fein ausdruͤck-
te. Beide bemerkten die zarte Bluͤthe
des Lebens, in der ſich die Geſchlechter
gleichſam trennen wollen, und doch noch
zuſammen wohnen; (ein Punkt, der von
den Neuern ſehr mißverſtanden iſt, und
den auch die ſpaͤtere Kunſt vielleicht zu
uͤppig ausgebildet,) als den wahren Reiz
der Schoͤnheit. Kein Juͤngling, duͤnkt
mich, kann Einen dieſer Juͤnglinge an-
ſchauen, ohne daß die heilige Schaam ſich
ſanft auf ſeine Stirn ſenke, und jeden
Frevel, jede Frechheit von ihm verſcheu-
che.

Fuͤgen wir hiezu die Stimme der Mu-
ſen, die das Gefuͤhl der Freundſchaft,
der Schweſter- und Bruderliebe,
der Pietaͤt gegen Eltern, gegen Wohl-
thaͤter des Menſchengeſchlechts,
gegen Goͤtter und Helden ſinget; hoͤ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="122"/>
&#x017F;en ward, als die Kun&#x017F;t &#x017F;ie fein ausdru&#x0364;ck-<lb/>
te. Beide bemerkten die zarte Blu&#x0364;the<lb/>
des Lebens, in der &#x017F;ich die Ge&#x017F;chlechter<lb/>
gleich&#x017F;am trennen wollen, und doch noch<lb/>
zu&#x017F;ammen wohnen; (ein Punkt, der von<lb/>
den Neuern &#x017F;ehr mißver&#x017F;tanden i&#x017F;t, und<lb/>
den auch die &#x017F;pa&#x0364;tere Kun&#x017F;t vielleicht zu<lb/>
u&#x0364;ppig ausgebildet,) als den wahren Reiz<lb/>
der Scho&#x0364;nheit. Kein Ju&#x0364;ngling, du&#x0364;nkt<lb/>
mich, kann Einen die&#x017F;er Ju&#x0364;nglinge an-<lb/>
&#x017F;chauen, ohne daß die heilige Schaam &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;anft auf &#x017F;eine Stirn &#x017F;enke, und jeden<lb/>
Frevel, jede Frechheit von ihm ver&#x017F;cheu-<lb/>
che.</p><lb/>
        <p>Fu&#x0364;gen wir hiezu die Stimme der Mu-<lb/>
&#x017F;en, die das Gefu&#x0364;hl der <hi rendition="#g">Freund&#x017F;chaft</hi>,<lb/>
der <hi rendition="#g">Schwe&#x017F;ter</hi>- und <hi rendition="#g">Bruderliebe</hi>,<lb/>
der <hi rendition="#g">Pieta&#x0364;t</hi> gegen <hi rendition="#g">Eltern</hi>, gegen <hi rendition="#g">Wohl</hi>-<lb/><hi rendition="#g">tha&#x0364;ter des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts</hi>,<lb/>
gegen <hi rendition="#g">Go&#x0364;tter</hi> und <hi rendition="#g">Helden</hi> &#x017F;inget; ho&#x0364;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0137] ſen ward, als die Kunſt ſie fein ausdruͤck- te. Beide bemerkten die zarte Bluͤthe des Lebens, in der ſich die Geſchlechter gleichſam trennen wollen, und doch noch zuſammen wohnen; (ein Punkt, der von den Neuern ſehr mißverſtanden iſt, und den auch die ſpaͤtere Kunſt vielleicht zu uͤppig ausgebildet,) als den wahren Reiz der Schoͤnheit. Kein Juͤngling, duͤnkt mich, kann Einen dieſer Juͤnglinge an- ſchauen, ohne daß die heilige Schaam ſich ſanft auf ſeine Stirn ſenke, und jeden Frevel, jede Frechheit von ihm verſcheu- che. Fuͤgen wir hiezu die Stimme der Mu- ſen, die das Gefuͤhl der Freundſchaft, der Schweſter- und Bruderliebe, der Pietaͤt gegen Eltern, gegen Wohl- thaͤter des Menſchengeſchlechts, gegen Goͤtter und Helden ſinget; hoͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/137
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/137>, abgerufen am 24.11.2024.