Reich, seine Scherze und Unfälle, seine Begegnisse mit Paphia, mit der Psyche, mit Herkules, mit dem Löwen, der Bie- ne, den Kränzen, u. f. uns vor Augen; alle mit zartem Kindessinn gedacht und mit Griechischer Lieblichkeit angewendet. Aus dem einzigen Wort Psyche, das den Schmetterling und die Seele bedeu- tet, sind hundert sinnreiche Anwendungen in Kunst und Dichtkunst entsprossen, de- ren eine die andre erklärt hat. Wenn Amor und Psyche beide als Kinder ein- ander küssen; meint man nicht, in diesem Augenblick, im ersten Gefühl ihrer unschul- digen Liebe sproßten beiden die Flügel? So wenn Psyche dem Amor flehet, wenn er sie peiniget oder tröstet. -- Glaube man doch nicht, daß Apulejus diese Fabel er- sonnen habe; sie war lange vor ihm da in Denkmahlen, die sein Zeitalter nicht
Reich, ſeine Scherze und Unfaͤlle, ſeine Begegniſſe mit Paphia, mit der Pſyche, mit Herkules, mit dem Loͤwen, der Bie- ne, den Kraͤnzen, u. f. uns vor Augen; alle mit zartem Kindesſinn gedacht und mit Griechiſcher Lieblichkeit angewendet. Aus dem einzigen Wort Pſyche, das den Schmetterling und die Seele bedeu- tet, ſind hundert ſinnreiche Anwendungen in Kunſt und Dichtkunſt entſproſſen, de- ren eine die andre erklaͤrt hat. Wenn Amor und Pſyche beide als Kinder ein- ander kuͤſſen; meint man nicht, in dieſem Augenblick, im erſten Gefuͤhl ihrer unſchul- digen Liebe ſproßten beiden die Fluͤgel? So wenn Pſyche dem Amor flehet, wenn er ſie peiniget oder troͤſtet. — Glaube man doch nicht, daß Apulejus dieſe Fabel er- ſonnen habe; ſie war lange vor ihm da in Denkmahlen, die ſein Zeitalter nicht
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Reich, ſeine Scherze und Unfaͤlle, ſeine
Begegniſſe mit Paphia, mit der Pſyche,
mit Herkules, mit dem Loͤwen, der Bie-
ne, den Kraͤnzen, u. f. uns vor Augen;
alle mit zartem Kindesſinn gedacht und
mit Griechiſcher Lieblichkeit angewendet.
Aus dem einzigen Wort Pſyche, das
den Schmetterling und die Seele bedeu-
tet, ſind hundert ſinnreiche Anwendungen
in Kunſt und Dichtkunſt entſproſſen, de-
ren eine die andre erklaͤrt hat. Wenn
Amor und Pſyche beide als Kinder ein-
ander kuͤſſen; meint man nicht, in dieſem
Augenblick, im erſten Gefuͤhl ihrer unſchul-
digen Liebe ſproßten beiden die Fluͤgel?
So wenn Pſyche dem Amor flehet, wenn
er ſie peiniget oder troͤſtet. — Glaube man
doch nicht, daß Apulejus dieſe Fabel er-
ſonnen habe; ſie war lange vor ihm da
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/134>, abgerufen am 16.02.2025.
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