Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.Redner übertäubt mich; der Schriftsteller Redner uͤbertaͤubt mich; der Schriftſteller <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0125" n="110"/> Redner uͤbertaͤubt mich; der Schriftſteller<lb/> ſpricht leiſe und ſanft; ich kann ihn be-<lb/> daͤchtig leſen. Der Redner blendet mich<lb/> mit ſeiner Geſtalt, mit ſeinem Gefolg und<lb/> Anſehn; der Schriftſteller ſpricht unſicht-<lb/> bar, und es iſt meine Schuld, wenn ich<lb/> mich von ſeinem Wortprunk hintergehen,<lb/> oder mir von ſeinem Geſchwaͤtz die Zeit<lb/> rauben laſſe; ich ſoll ihn pruͤfen, ich darf<lb/> ihn wegwerfen. Gegenſeits iſt auch frei-<lb/> lich das Irrſal und die Verfuͤhrung des<lb/> Redners voruͤbergehend und in einem Krei-<lb/> ſe beſchloſſen; das Gift und Irrſal des<lb/> Schriftſtellers, ſeine Ehre und Schande<lb/> dauret. Er ſelbſt kann ſie nicht, als et-<lb/> wa durch Beſſerung, durch Widerruf zu-<lb/> ruͤckrufen; und auch dadurch wird, was<lb/> geſchehen iſt, nicht ungeſchehen. Wer weiß,<lb/> ob dies Blatt des Widerrufs oder der<lb/> Widerlegung in die vorige Hand kommt,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0125]
Redner uͤbertaͤubt mich; der Schriftſteller
ſpricht leiſe und ſanft; ich kann ihn be-
daͤchtig leſen. Der Redner blendet mich
mit ſeiner Geſtalt, mit ſeinem Gefolg und
Anſehn; der Schriftſteller ſpricht unſicht-
bar, und es iſt meine Schuld, wenn ich
mich von ſeinem Wortprunk hintergehen,
oder mir von ſeinem Geſchwaͤtz die Zeit
rauben laſſe; ich ſoll ihn pruͤfen, ich darf
ihn wegwerfen. Gegenſeits iſt auch frei-
lich das Irrſal und die Verfuͤhrung des
Redners voruͤbergehend und in einem Krei-
ſe beſchloſſen; das Gift und Irrſal des
Schriftſtellers, ſeine Ehre und Schande
dauret. Er ſelbſt kann ſie nicht, als et-
wa durch Beſſerung, durch Widerruf zu-
ruͤckrufen; und auch dadurch wird, was
geſchehen iſt, nicht ungeſchehen. Wer weiß,
ob dies Blatt des Widerrufs oder der
Widerlegung in die vorige Hand kommt,
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