seiner Krankheit, den Eigensinn Ludwigs dabei, das Ende des Prinzen; unwissend Ihrer wird eine Thräne in Ihr Auge treten, und was wird dabei Ihr Wort seyn? Fenelon sagte, als er die traurige Nach- richt vernahm: "Meine Bande sind gelö- set; nichts hält mich mehr an der Erde." Ludwig dagegen sagte "ich preise Gott für die Gnade, die er ihm geschenkt hat, so heilig zu sterben, als er lebte." Der Kö- nig ertrug, (so sagt ein Geschichtschreiber,) alles als Christ, glaubte daß Gott das Reich um der Sünden willen seines Köni- ges strafe, betete seinen Richter an, und keine Klage entfuhr ihm --
Wir, die wir keine Könige sind, dürfen keine so erhabne Gleichgültigkeit äußern. Wir können aufrichtig und herzlich bedau- ern, daß die Vorsehung dem zu Grunde gerichteten Reich einen so geprüften, so
ſeiner Krankheit, den Eigenſinn Ludwigs dabei, das Ende des Prinzen; unwiſſend Ihrer wird eine Thraͤne in Ihr Auge treten, und was wird dabei Ihr Wort ſeyn? Fenelon ſagte, als er die traurige Nach- richt vernahm: „Meine Bande ſind geloͤ- ſet; nichts haͤlt mich mehr an der Erde.“ Ludwig dagegen ſagte „ich preiſe Gott fuͤr die Gnade, die er ihm geſchenkt hat, ſo heilig zu ſterben, als er lebte.“ Der Koͤ- nig ertrug, (ſo ſagt ein Geſchichtſchreiber,) alles als Chriſt, glaubte daß Gott das Reich um der Suͤnden willen ſeines Koͤni- ges ſtrafe, betete ſeinen Richter an, und keine Klage entfuhr ihm —
Wir, die wir keine Koͤnige ſind, duͤrfen keine ſo erhabne Gleichguͤltigkeit aͤußern. Wir koͤnnen aufrichtig und herzlich bedau- ern, daß die Vorſehung dem zu Grunde gerichteten Reich einen ſo gepruͤften, ſo
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ſeiner Krankheit, den Eigenſinn Ludwigs
dabei, das Ende des Prinzen; unwiſſend
Ihrer wird eine Thraͤne in Ihr Auge treten,
und was wird dabei Ihr Wort ſeyn?
Fenelon ſagte, als er die traurige Nach-
richt vernahm: „Meine Bande ſind geloͤ-
ſet; nichts haͤlt mich mehr an der Erde.“
Ludwig dagegen ſagte „ich preiſe Gott fuͤr
die Gnade, die er ihm geſchenkt hat, ſo
heilig zu ſterben, als er lebte.“ Der Koͤ-
nig ertrug, (ſo ſagt ein Geſchichtſchreiber,)
alles als Chriſt, glaubte daß Gott das
Reich um der Suͤnden willen ſeines Koͤni-
ges ſtrafe, betete ſeinen Richter an, und
keine Klage entfuhr ihm —
Wir, die wir keine Koͤnige ſind, duͤrfen
keine ſo erhabne Gleichguͤltigkeit aͤußern.
Wir koͤnnen aufrichtig und herzlich bedau-
ern, daß die Vorſehung dem zu Grunde
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/128>, abgerufen am 16.02.2025.
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