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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793.

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was noch wohl ärger ist, ein jeglicher will
hierinn über den andern seyn; und kann
den schändlichen Narren und Klüglingen
niemand nichts rechts thun, wie Salomon
spricht! "ein Narr dünkt sich klüger seyn,
denn sieben Weisen, die das Recht setzen."

Also schreibt auch Plato, es sei zweier-
lei Recht, Naturrecht und Gesetzrecht; ich
wills das gesunde Recht und das kran-
ke Recht nennen. Denn was aus Kraft
der Natur geschieht, das gehet frisch hin-
durch, auch ohn alles Gesetz, reißt auch
wohl durch alle Gesetze. Aber wo die Na-
tur nicht da ist und solls mit Gesetzen her-
ausbringen, das ist Bettelei und Flick-
werk; geschieht gleichwohl nicht mehr, denn
in der kranken Natur steckt. Als wenn
ich ein gemein Gesetz stellete: man soll zwo
Semmel essen und ein Rösel Wein trin-
ken zur Mahlzeit. Kommt ein Gesunder

was noch wohl aͤrger iſt, ein jeglicher will
hierinn uͤber den andern ſeyn; und kann
den ſchaͤndlichen Narren und Kluͤglingen
niemand nichts rechts thun, wie Salomon
ſpricht! „ein Narr duͤnkt ſich kluͤger ſeyn,
denn ſieben Weiſen, die das Recht ſetzen.“

Alſo ſchreibt auch Plato, es ſei zweier-
lei Recht, Naturrecht und Geſetzrecht; ich
wills das geſunde Recht und das kran-
ke Recht nennen. Denn was aus Kraft
der Natur geſchieht, das gehet friſch hin-
durch, auch ohn alles Geſetz, reißt auch
wohl durch alle Geſetze. Aber wo die Na-
tur nicht da iſt und ſolls mit Geſetzen her-
ausbringen, das iſt Bettelei und Flick-
werk; geſchieht gleichwohl nicht mehr, denn
in der kranken Natur ſteckt. Als wenn
ich ein gemein Geſetz ſtellete: man ſoll zwo
Semmel eſſen und ein Roͤſel Wein trin-
ken zur Mahlzeit. Kommt ein Geſunder

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[26/0031] was noch wohl aͤrger iſt, ein jeglicher will hierinn uͤber den andern ſeyn; und kann den ſchaͤndlichen Narren und Kluͤglingen niemand nichts rechts thun, wie Salomon ſpricht! „ein Narr duͤnkt ſich kluͤger ſeyn, denn ſieben Weiſen, die das Recht ſetzen.“ Alſo ſchreibt auch Plato, es ſei zweier- lei Recht, Naturrecht und Geſetzrecht; ich wills das geſunde Recht und das kran- ke Recht nennen. Denn was aus Kraft der Natur geſchieht, das gehet friſch hin- durch, auch ohn alles Geſetz, reißt auch wohl durch alle Geſetze. Aber wo die Na- tur nicht da iſt und ſolls mit Geſetzen her- ausbringen, das iſt Bettelei und Flick- werk; geſchieht gleichwohl nicht mehr, denn in der kranken Natur ſteckt. Als wenn ich ein gemein Geſetz ſtellete: man ſoll zwo Semmel eſſen und ein Roͤſel Wein trin- ken zur Mahlzeit. Kommt ein Geſunder

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/31>, abgerufen am 22.11.2024.