fen, daß die Menschen ungleich sind, und einer den andern regieren, einer dem an- dern gehorchen soll. Zween können mit einander singen (d. i. Gott alle gleich lo- ben;) aber nicht mit einander reden (d. i. regieren). Einer muß reden, der andre hören. Darum findet sichs auch also, daß unter denen, die sich natürlicher Vernunft und Rechts vermessen und rühmen, gar viel weidliche und große natürliche Narren sind; denn das edle Kleinod, so natürlich Recht und Vernunft heißt, ist ein selten Ding unter Menschenkindern.
Aber das ist der Teufel und Plage in der Welt, daß wir in allen Dingen, an leiblicher Stärke, Größe, Schöne, Gütern, Gesicht, Farbe, unter einander ungleich sind; und allein in der Weisheit und Glück alle wollen gleich seyn, da wir doch am allerungleichsten unter einander sind. Und
B 5
fen, daß die Menſchen ungleich ſind, und einer den andern regieren, einer dem an- dern gehorchen ſoll. Zween koͤnnen mit einander ſingen (d. i. Gott alle gleich lo- ben;) aber nicht mit einander reden (d. i. regieren). Einer muß reden, der andre hoͤren. Darum findet ſichs auch alſo, daß unter denen, die ſich natuͤrlicher Vernunft und Rechts vermeſſen und ruͤhmen, gar viel weidliche und große natuͤrliche Narren ſind; denn das edle Kleinod, ſo natuͤrlich Recht und Vernunft heißt, iſt ein ſelten Ding unter Menſchenkindern.
Aber das iſt der Teufel und Plage in der Welt, daß wir in allen Dingen, an leiblicher Staͤrke, Groͤße, Schoͤne, Guͤtern, Geſicht, Farbe, unter einander ungleich ſind; und allein in der Weisheit und Gluͤck alle wollen gleich ſeyn, da wir doch am allerungleichſten unter einander ſind. Und
B 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0030"n="25"/>
fen, daß die Menſchen ungleich ſind, und<lb/>
einer den andern regieren, einer dem an-<lb/>
dern gehorchen ſoll. Zween koͤnnen mit<lb/>
einander ſingen (d. i. Gott alle gleich lo-<lb/>
ben;) aber nicht mit einander reden (d. i.<lb/>
regieren). Einer muß reden, der andre<lb/>
hoͤren. Darum findet ſichs auch alſo, daß<lb/>
unter denen, die ſich natuͤrlicher Vernunft<lb/>
und Rechts vermeſſen und ruͤhmen, gar<lb/>
viel weidliche und große natuͤrliche Narren<lb/>ſind; denn das edle Kleinod, ſo natuͤrlich<lb/>
Recht und Vernunft heißt, iſt ein ſelten<lb/>
Ding unter Menſchenkindern.</p><lb/><p>Aber das iſt der Teufel und Plage in<lb/>
der Welt, daß wir in allen Dingen, an<lb/>
leiblicher Staͤrke, Groͤße, Schoͤne, Guͤtern,<lb/>
Geſicht, Farbe, unter einander ungleich<lb/>ſind; und allein in der Weisheit und Gluͤck<lb/>
alle wollen gleich ſeyn, da wir doch am<lb/>
allerungleichſten unter einander ſind. Und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 5</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0030]
fen, daß die Menſchen ungleich ſind, und
einer den andern regieren, einer dem an-
dern gehorchen ſoll. Zween koͤnnen mit
einander ſingen (d. i. Gott alle gleich lo-
ben;) aber nicht mit einander reden (d. i.
regieren). Einer muß reden, der andre
hoͤren. Darum findet ſichs auch alſo, daß
unter denen, die ſich natuͤrlicher Vernunft
und Rechts vermeſſen und ruͤhmen, gar
viel weidliche und große natuͤrliche Narren
ſind; denn das edle Kleinod, ſo natuͤrlich
Recht und Vernunft heißt, iſt ein ſelten
Ding unter Menſchenkindern.
Aber das iſt der Teufel und Plage in
der Welt, daß wir in allen Dingen, an
leiblicher Staͤrke, Groͤße, Schoͤne, Guͤtern,
Geſicht, Farbe, unter einander ungleich
ſind; und allein in der Weisheit und Gluͤck
alle wollen gleich ſeyn, da wir doch am
allerungleichſten unter einander ſind. Und
B 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/30>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.