Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

ist. Die Bewohner Deutschlands waren vor wenigen Jahrhun-
derten Patagonen und sie sinds nicht mehr; die Bewohner künf-
tiger Klimate werden uns nicht gleichen. Steigen wir nun in
jene Zeiten hinauf, da Alles auf der Erde so anders gewesen
zu seyn scheinet, in jene Zeit z. E., da die Elephanten in
Siberien und Nord-Amerika lebten, da die großen Thiere
vorhanden waren, deren Gebeine sich am Ohiostrom finden
u. f.; wenn damals Menschen in diesen Gegenden lebten,
wie andere Menschen warens, als die jetzt daselbst leben!
Und so wird die Menschengeschichte zuletzt ein Schauplatz
von Verwandlungen, den nur Der übersiehet, der selbst alle
diese Gebilde durchhaucht und sich in ihnen allen freuet und
fühlet. Er führet auf und zerstöret, verfeint Gestalten und
ändert sie ab, nachdem er die Welt um sie her verwandelt.
Der Wandrer auf der Erde, die schnell vorübergehende Ephe-
mere, kann nichts als die Wunder dieses großen Geistes auf
einem schmalen Streif anstaunen, sich der Gestalt freuen,
die ihm im Chor der Andern ward, anbeten und mit dieser
Gestalt verschwinden. "Auch ich war in Arkadien!" ist die
Grabschrift aller Lebendigen in der sich immer verwandeln-
den, wiedergebährenden Schöpfung.



Da indessen der menschliche Verstand in aller Vielartigkeit
Einheit sucht und der göttliche Verstand, sein Vorbild, mit dem

zahl-

iſt. Die Bewohner Deutſchlands waren vor wenigen Jahrhun-
derten Patagonen und ſie ſinds nicht mehr; die Bewohner kuͤnf-
tiger Klimate werden uns nicht gleichen. Steigen wir nun in
jene Zeiten hinauf, da Alles auf der Erde ſo anders geweſen
zu ſeyn ſcheinet, in jene Zeit z. E., da die Elephanten in
Siberien und Nord-Amerika lebten, da die großen Thiere
vorhanden waren, deren Gebeine ſich am Ohioſtrom finden
u. f.; wenn damals Menſchen in dieſen Gegenden lebten,
wie andere Menſchen warens, als die jetzt daſelbſt leben!
Und ſo wird die Menſchengeſchichte zuletzt ein Schauplatz
von Verwandlungen, den nur Der uͤberſiehet, der ſelbſt alle
dieſe Gebilde durchhaucht und ſich in ihnen allen freuet und
fuͤhlet. Er fuͤhret auf und zerſtoͤret, verfeint Geſtalten und
aͤndert ſie ab, nachdem er die Welt um ſie her verwandelt.
Der Wandrer auf der Erde, die ſchnell voruͤbergehende Ephe-
mere, kann nichts als die Wunder dieſes großen Geiſtes auf
einem ſchmalen Streif anſtaunen, ſich der Geſtalt freuen,
die ihm im Chor der Andern ward, anbeten und mit dieſer
Geſtalt verſchwinden. „Auch ich war in Arkadien!“ iſt die
Grabſchrift aller Lebendigen in der ſich immer verwandeln-
den, wiedergebaͤhrenden Schoͤpfung.



Da indeſſen der menſchliche Verſtand in aller Vielartigkeit
Einheit ſucht und der goͤttliche Verſtand, ſein Vorbild, mit dem

zahl-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="76"/>
i&#x017F;t. Die Bewohner Deut&#x017F;chlands waren vor wenigen Jahrhun-<lb/>
derten Patagonen und &#x017F;ie &#x017F;inds nicht mehr; die Bewohner ku&#x0364;nf-<lb/>
tiger Klimate werden uns nicht gleichen. Steigen wir nun in<lb/>
jene Zeiten hinauf, da Alles auf der Erde &#x017F;o anders gewe&#x017F;en<lb/>
zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinet, in jene Zeit z. E., da die Elephanten in<lb/>
Siberien und Nord-Amerika lebten, da die großen Thiere<lb/>
vorhanden waren, deren Gebeine &#x017F;ich am Ohio&#x017F;trom finden<lb/>
u. f.; wenn damals Men&#x017F;chen in die&#x017F;en Gegenden lebten,<lb/>
wie andere Men&#x017F;chen warens, als die jetzt da&#x017F;elb&#x017F;t leben!<lb/>
Und &#x017F;o wird die Men&#x017F;chenge&#x017F;chichte zuletzt ein Schauplatz<lb/>
von Verwandlungen, den nur Der u&#x0364;ber&#x017F;iehet, der &#x017F;elb&#x017F;t alle<lb/>
die&#x017F;e Gebilde durchhaucht und &#x017F;ich in ihnen allen freuet und<lb/>
fu&#x0364;hlet. Er fu&#x0364;hret auf und zer&#x017F;to&#x0364;ret, verfeint Ge&#x017F;talten und<lb/>
a&#x0364;ndert &#x017F;ie ab, nachdem er die Welt um &#x017F;ie her verwandelt.<lb/>
Der Wandrer auf der Erde, die &#x017F;chnell voru&#x0364;bergehende Ephe-<lb/>
mere, kann nichts als die Wunder die&#x017F;es großen Gei&#x017F;tes auf<lb/>
einem &#x017F;chmalen Streif an&#x017F;taunen, &#x017F;ich der Ge&#x017F;talt freuen,<lb/>
die ihm im Chor der Andern ward, anbeten und mit die&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;talt ver&#x017F;chwinden. &#x201E;Auch ich war in Arkadien!&#x201C; i&#x017F;t die<lb/>
Grab&#x017F;chrift aller Lebendigen in der &#x017F;ich immer verwandeln-<lb/>
den, wiedergeba&#x0364;hrenden Scho&#x0364;pfung.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Da inde&#x017F;&#x017F;en der men&#x017F;chliche Ver&#x017F;tand in aller Vielartigkeit<lb/>
Einheit &#x017F;ucht und der go&#x0364;ttliche Ver&#x017F;tand, &#x017F;ein Vorbild, mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zahl-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0088] iſt. Die Bewohner Deutſchlands waren vor wenigen Jahrhun- derten Patagonen und ſie ſinds nicht mehr; die Bewohner kuͤnf- tiger Klimate werden uns nicht gleichen. Steigen wir nun in jene Zeiten hinauf, da Alles auf der Erde ſo anders geweſen zu ſeyn ſcheinet, in jene Zeit z. E., da die Elephanten in Siberien und Nord-Amerika lebten, da die großen Thiere vorhanden waren, deren Gebeine ſich am Ohioſtrom finden u. f.; wenn damals Menſchen in dieſen Gegenden lebten, wie andere Menſchen warens, als die jetzt daſelbſt leben! Und ſo wird die Menſchengeſchichte zuletzt ein Schauplatz von Verwandlungen, den nur Der uͤberſiehet, der ſelbſt alle dieſe Gebilde durchhaucht und ſich in ihnen allen freuet und fuͤhlet. Er fuͤhret auf und zerſtoͤret, verfeint Geſtalten und aͤndert ſie ab, nachdem er die Welt um ſie her verwandelt. Der Wandrer auf der Erde, die ſchnell voruͤbergehende Ephe- mere, kann nichts als die Wunder dieſes großen Geiſtes auf einem ſchmalen Streif anſtaunen, ſich der Geſtalt freuen, die ihm im Chor der Andern ward, anbeten und mit dieſer Geſtalt verſchwinden. „Auch ich war in Arkadien!“ iſt die Grabſchrift aller Lebendigen in der ſich immer verwandeln- den, wiedergebaͤhrenden Schoͤpfung. Da indeſſen der menſchliche Verſtand in aller Vielartigkeit Einheit ſucht und der goͤttliche Verſtand, ſein Vorbild, mit dem zahl-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/88
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/88>, abgerufen am 29.11.2024.