Wo lag nun aber der Garten, in den der Schö- pfer sein sanftes wehrloses Geschöpf setzte? Da diese Sage aus dem westlichen Asien ist: so setzt sie ihn Ostwärts "höher hinauf gen Morgen, auf eine Erdhöhe, aus der ein Strom brach, der sich von da aus in vier große Hauptströme theiltea)." Unpartheiischer kann keine Tradition erzählen: denn da jede alte Nation sich so gern für die Erstgebohrne und ihr Land für den Geburtsort der Menschheit hielt: so rückt diese hingegen das Urland weit hinauf an den höchsten Rücken der bewohnten Erde. Und wo ist diese Höhe der Erde? wo entspringen die genannten vier Ströme aus Einem Quell oder Strom, wie die Urschrift deutlich saget? Jn unsrer Erdbe- schreibung nirgend und es ist vergeblich, daß man die Namen der Flüsse tausendfach martere, da ein unpartheiischer Blick auf die Weltcharte uns lehrt, daß nirgend auf Erden der Eu- phrat mit drei andern Strömen aus Einem Quell oder Strom entspringe. Erinnern wir uns aber an die Traditionen aller höhern Asiatischen Völker: so treffen wir dies Paradies der höchsten Erdhöhe mit seinem lebendigen Urquell, mit seinen die Welt befruchtenden Strömen in ihnen allen an. Sineser und Tibetaner, Jndier und Perser reden von diesem Urberge der Schöpfung, um den die Länder, Meere und Jnseln gela- gert sind und von dessen Himmelhöhe der Erde ihre Ströme
ge-
a) 1 Mos. 2, 10-14.
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Wo lag nun aber der Garten, in den der Schoͤ- pfer ſein ſanftes wehrloſes Geſchoͤpf ſetzte? Da dieſe Sage aus dem weſtlichen Aſien iſt: ſo ſetzt ſie ihn Oſtwaͤrts “hoͤher hinauf gen Morgen, auf eine Erdhoͤhe, aus der ein Strom brach, der ſich von da aus in vier große Hauptſtroͤme theiltea).“ Unpartheiiſcher kann keine Tradition erzaͤhlen: denn da jede alte Nation ſich ſo gern fuͤr die Erſtgebohrne und ihr Land fuͤr den Geburtsort der Menſchheit hielt: ſo ruͤckt dieſe hingegen das Urland weit hinauf an den hoͤchſten Ruͤcken der bewohnten Erde. Und wo iſt dieſe Hoͤhe der Erde? wo entſpringen die genannten vier Stroͤme aus Einem Quell oder Strom, wie die Urſchrift deutlich ſaget? Jn unſrer Erdbe- ſchreibung nirgend und es iſt vergeblich, daß man die Namen der Fluͤſſe tauſendfach martere, da ein unpartheiiſcher Blick auf die Weltcharte uns lehrt, daß nirgend auf Erden der Eu- phrat mit drei andern Stroͤmen aus Einem Quell oder Strom entſpringe. Erinnern wir uns aber an die Traditionen aller hoͤhern Aſiatiſchen Voͤlker: ſo treffen wir dies Paradies der hoͤchſten Erdhoͤhe mit ſeinem lebendigen Urquell, mit ſeinen die Welt befruchtenden Stroͤmen in ihnen allen an. Sineſer und Tibetaner, Jndier und Perſer reden von dieſem Urberge der Schoͤpfung, um den die Laͤnder, Meere und Jnſeln gela- gert ſind und von deſſen Himmelhoͤhe der Erde ihre Stroͤme
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a) 1 Moſ. 2, 10‒14.
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Wo lag nun aber der Garten, in den der Schoͤ-
pfer ſein ſanftes wehrloſes Geſchoͤpf ſetzte? Da dieſe
Sage aus dem weſtlichen Aſien iſt: ſo ſetzt ſie ihn Oſtwaͤrts
“hoͤher hinauf gen Morgen, auf eine Erdhoͤhe, aus der ein
Strom brach, der ſich von da aus in vier große Hauptſtroͤme
theilte a).“ Unpartheiiſcher kann keine Tradition erzaͤhlen:
denn da jede alte Nation ſich ſo gern fuͤr die Erſtgebohrne und
ihr Land fuͤr den Geburtsort der Menſchheit hielt: ſo ruͤckt
dieſe hingegen das Urland weit hinauf an den hoͤchſten Ruͤcken
der bewohnten Erde. Und wo iſt dieſe Hoͤhe der Erde? wo
entſpringen die genannten vier Stroͤme aus Einem Quell oder
Strom, wie die Urſchrift deutlich ſaget? Jn unſrer Erdbe-
ſchreibung nirgend und es iſt vergeblich, daß man die Namen
der Fluͤſſe tauſendfach martere, da ein unpartheiiſcher Blick
auf die Weltcharte uns lehrt, daß nirgend auf Erden der Eu-
phrat mit drei andern Stroͤmen aus Einem Quell oder Strom
entſpringe. Erinnern wir uns aber an die Traditionen aller
hoͤhern Aſiatiſchen Voͤlker: ſo treffen wir dies Paradies der
hoͤchſten Erdhoͤhe mit ſeinem lebendigen Urquell, mit ſeinen
die Welt befruchtenden Stroͤmen in ihnen allen an. Sineſer
und Tibetaner, Jndier und Perſer reden von dieſem Urberge
der Schoͤpfung, um den die Laͤnder, Meere und Jnſeln gela-
gert ſind und von deſſen Himmelhoͤhe der Erde ihre Stroͤme
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a) 1 Moſ. 2, 10‒14.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/345>, abgerufen am 22.11.2024.
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