Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

ger. Der Anführer einer Colonie oder Horde, dem Menschen
wie Thiere folgten, bediente sich über sie gar bald des Men-
schenrechts über die Thiere. So wars mit denen, die die Na-
tionen cultivirten: so lange sie sie cultivirten, waren sie Väter,
Erzieher des Volks, Handhaber der Gesetze zum gemeinen
Besten; sobald sie eigenmächtige oder gar erbliche Regenten
wurden, waren sie die Mächtigern, denen der Schwächere
diente. Oft trat ein Fuchs in die Stelle des Löwen und so
war der Fuchs der Mächtigere: denn nicht Gewalt der Waf-
fen allein ist Stärke; Verschlagenheit, List und ein künstlicher
Betrug thut in den meisten Fällen mehr als jene. Kurz, der
große Unterschied der Menschen an Geistes- Glücks- und Körper-
gaben hat nach dem Unterschiede der Gegenden, Lebensarten
und Lebensalter Unterjochungen und Despotien auf der Erde
gestiftet, die in vielen Ländern einander leider nur abgelöset
haben. Kriegerische Bergvölker z. B. überschwemmten die
ruhige Ebne: jene hatte das Klima, die Noth, der Mangel
stark gemacht und tapfer erhalten; sie breiteten sich also als
Herren der Erde aus, bis sie selbst in der mildern Gegend von
Ueppigkeit besiegt und von andern unterjocht wurden. So
ist unsre alte Tellus bezwungen und die Geschichte auf ihr ein
trauriges Gemälde von Menschenjagden und Eroberungen
worden: fast jede kleine Landesgrenze, jede neue Epoche ist mit
Blut der Geopferten, und mit Thränen der Unterdrückten ins

Buch

ger. Der Anfuͤhrer einer Colonie oder Horde, dem Menſchen
wie Thiere folgten, bediente ſich uͤber ſie gar bald des Men-
ſchenrechts uͤber die Thiere. So wars mit denen, die die Na-
tionen cultivirten: ſo lange ſie ſie cultivirten, waren ſie Vaͤter,
Erzieher des Volks, Handhaber der Geſetze zum gemeinen
Beſten; ſobald ſie eigenmaͤchtige oder gar erbliche Regenten
wurden, waren ſie die Maͤchtigern, denen der Schwaͤchere
diente. Oft trat ein Fuchs in die Stelle des Loͤwen und ſo
war der Fuchs der Maͤchtigere: denn nicht Gewalt der Waf-
fen allein iſt Staͤrke; Verſchlagenheit, Liſt und ein kuͤnſtlicher
Betrug thut in den meiſten Faͤllen mehr als jene. Kurz, der
große Unterſchied der Menſchen an Geiſtes- Gluͤcks- und Koͤrper-
gaben hat nach dem Unterſchiede der Gegenden, Lebensarten
und Lebensalter Unterjochungen und Deſpotien auf der Erde
geſtiftet, die in vielen Laͤndern einander leider nur abgeloͤſet
haben. Kriegeriſche Bergvoͤlker z. B. uͤberſchwemmten die
ruhige Ebne: jene hatte das Klima, die Noth, der Mangel
ſtark gemacht und tapfer erhalten; ſie breiteten ſich alſo als
Herren der Erde aus, bis ſie ſelbſt in der mildern Gegend von
Ueppigkeit beſiegt und von andern unterjocht wurden. So
iſt unſre alte Tellus bezwungen und die Geſchichte auf ihr ein
trauriges Gemaͤlde von Menſchenjagden und Eroberungen
worden: faſt jede kleine Landesgrenze, jede neue Epoche iſt mit
Blut der Geopferten, und mit Thraͤnen der Unterdruͤckten ins

Buch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="255"/>
ger. Der Anfu&#x0364;hrer einer Colonie oder Horde, dem Men&#x017F;chen<lb/>
wie Thiere folgten, bediente &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ie gar bald des Men-<lb/>
&#x017F;chenrechts u&#x0364;ber die Thiere. So wars mit denen, die die Na-<lb/>
tionen cultivirten: &#x017F;o lange &#x017F;ie &#x017F;ie cultivirten, waren &#x017F;ie Va&#x0364;ter,<lb/>
Erzieher des Volks, Handhaber der Ge&#x017F;etze zum gemeinen<lb/>
Be&#x017F;ten; &#x017F;obald &#x017F;ie eigenma&#x0364;chtige oder gar erbliche Regenten<lb/>
wurden, waren &#x017F;ie die Ma&#x0364;chtigern, denen der Schwa&#x0364;chere<lb/>
diente. Oft trat ein Fuchs in die Stelle des Lo&#x0364;wen und &#x017F;o<lb/>
war der Fuchs der Ma&#x0364;chtigere: denn nicht Gewalt der Waf-<lb/>
fen allein i&#x017F;t Sta&#x0364;rke; Ver&#x017F;chlagenheit, Li&#x017F;t und ein ku&#x0364;n&#x017F;tlicher<lb/>
Betrug thut in den mei&#x017F;ten Fa&#x0364;llen mehr als jene. Kurz, der<lb/>
große Unter&#x017F;chied der Men&#x017F;chen an Gei&#x017F;tes- Glu&#x0364;cks- und Ko&#x0364;rper-<lb/>
gaben hat nach dem Unter&#x017F;chiede der Gegenden, Lebensarten<lb/>
und Lebensalter Unterjochungen und De&#x017F;potien auf der Erde<lb/>
ge&#x017F;tiftet, die in vielen La&#x0364;ndern einander leider nur abgelo&#x0364;&#x017F;et<lb/>
haben. Kriegeri&#x017F;che Bergvo&#x0364;lker z. B. u&#x0364;ber&#x017F;chwemmten die<lb/>
ruhige Ebne: jene hatte das Klima, die Noth, der Mangel<lb/>
&#x017F;tark gemacht und tapfer erhalten; &#x017F;ie breiteten &#x017F;ich al&#x017F;o als<lb/>
Herren der Erde aus, bis &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t in der mildern Gegend von<lb/>
Ueppigkeit be&#x017F;iegt und von andern unterjocht wurden. So<lb/>
i&#x017F;t un&#x017F;re alte Tellus bezwungen und die Ge&#x017F;chichte auf ihr ein<lb/>
trauriges Gema&#x0364;lde von Men&#x017F;chenjagden und Eroberungen<lb/>
worden: fa&#x017F;t jede kleine Landesgrenze, jede neue Epoche i&#x017F;t mit<lb/>
Blut der Geopferten, und mit Thra&#x0364;nen der Unterdru&#x0364;ckten ins<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Buch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0267] ger. Der Anfuͤhrer einer Colonie oder Horde, dem Menſchen wie Thiere folgten, bediente ſich uͤber ſie gar bald des Men- ſchenrechts uͤber die Thiere. So wars mit denen, die die Na- tionen cultivirten: ſo lange ſie ſie cultivirten, waren ſie Vaͤter, Erzieher des Volks, Handhaber der Geſetze zum gemeinen Beſten; ſobald ſie eigenmaͤchtige oder gar erbliche Regenten wurden, waren ſie die Maͤchtigern, denen der Schwaͤchere diente. Oft trat ein Fuchs in die Stelle des Loͤwen und ſo war der Fuchs der Maͤchtigere: denn nicht Gewalt der Waf- fen allein iſt Staͤrke; Verſchlagenheit, Liſt und ein kuͤnſtlicher Betrug thut in den meiſten Faͤllen mehr als jene. Kurz, der große Unterſchied der Menſchen an Geiſtes- Gluͤcks- und Koͤrper- gaben hat nach dem Unterſchiede der Gegenden, Lebensarten und Lebensalter Unterjochungen und Deſpotien auf der Erde geſtiftet, die in vielen Laͤndern einander leider nur abgeloͤſet haben. Kriegeriſche Bergvoͤlker z. B. uͤberſchwemmten die ruhige Ebne: jene hatte das Klima, die Noth, der Mangel ſtark gemacht und tapfer erhalten; ſie breiteten ſich alſo als Herren der Erde aus, bis ſie ſelbſt in der mildern Gegend von Ueppigkeit beſiegt und von andern unterjocht wurden. So iſt unſre alte Tellus bezwungen und die Geſchichte auf ihr ein trauriges Gemaͤlde von Menſchenjagden und Eroberungen worden: faſt jede kleine Landesgrenze, jede neue Epoche iſt mit Blut der Geopferten, und mit Thraͤnen der Unterdruͤckten ins Buch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/267
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/267>, abgerufen am 24.11.2024.