neität aller Körper auch ihre vibrirende Fähigheit zunimmt: so ist die menschliche Organisation, als die feinste von allen, nothwendig auch am meisten dazu gestimmt, den Klang aller andern Wesen nachzuhallen und in sich zu fühlen. Die Ge- schichte der Krankheiten zeigt, daß nicht nur Affecten und kör- perliche Wunden, daß selbst der Wahnsinn sich sympathetisch fortbreiten konnte.
Bei Kindern sehen wir also die Wirkungen dieses Con- sensus gleichgestimmter Wesen im hohen Grad; ja eben auch dazu sollte ihr Körper lange Jahre ein leicht-zurücktönendes Saitenspiel bleiben. Handlungen und Gebehrden, selbst Lei- denschaften und Gedanken gehen unvermerkt in sie über, so daß sie auch zu dem was sie noch nicht üben können, wenigstens gestimmt werden und einem Triebe, der eine Art geistiger Assi- milation ist, unwissend folgen. Bei allen Söhnen der Natur, den wilden Völkern, ists nicht anders. Gebohrne Pantomi- men, ahmen sie alles, was ihnen erzählt wird oder was sie ausdrücken wollen, lebhaft nach und zeigen damit in Tänzen, Spielen, Scherz und Gesprächen ihre eigentliche Denkart. Nachahmend nämlich kam ihre Phantasie zu diesen Bildern: in Typen solcher Art bestehet der Schatz ihres Gedächtnißes und ihrer Sprache; daher gehen auch ihre Gedanken so leicht in Handlung und lebendige Tradition über.
Durch
neitaͤt aller Koͤrper auch ihre vibrirende Faͤhigheit zunimmt: ſo iſt die menſchliche Organiſation, als die feinſte von allen, nothwendig auch am meiſten dazu geſtimmt, den Klang aller andern Weſen nachzuhallen und in ſich zu fuͤhlen. Die Ge- ſchichte der Krankheiten zeigt, daß nicht nur Affecten und koͤr- perliche Wunden, daß ſelbſt der Wahnſinn ſich ſympathetiſch fortbreiten konnte.
Bei Kindern ſehen wir alſo die Wirkungen dieſes Con- ſenſus gleichgeſtimmter Weſen im hohen Grad; ja eben auch dazu ſollte ihr Koͤrper lange Jahre ein leicht-zuruͤcktoͤnendes Saitenſpiel bleiben. Handlungen und Gebehrden, ſelbſt Lei- denſchaften und Gedanken gehen unvermerkt in ſie uͤber, ſo daß ſie auch zu dem was ſie noch nicht uͤben koͤnnen, wenigſtens geſtimmt werden und einem Triebe, der eine Art geiſtiger Aſſi- milation iſt, unwiſſend folgen. Bei allen Soͤhnen der Natur, den wilden Voͤlkern, iſts nicht anders. Gebohrne Pantomi- men, ahmen ſie alles, was ihnen erzaͤhlt wird oder was ſie ausdruͤcken wollen, lebhaft nach und zeigen damit in Taͤnzen, Spielen, Scherz und Geſpraͤchen ihre eigentliche Denkart. Nachahmend naͤmlich kam ihre Phantaſie zu dieſen Bildern: in Typen ſolcher Art beſtehet der Schatz ihres Gedaͤchtnißes und ihrer Sprache; daher gehen auch ihre Gedanken ſo leicht in Handlung und lebendige Tradition uͤber.
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neitaͤt aller Koͤrper auch ihre vibrirende Faͤhigheit zunimmt:
ſo iſt die menſchliche Organiſation, als die feinſte von allen,
nothwendig auch am meiſten dazu geſtimmt, den Klang aller
andern Weſen nachzuhallen und in ſich zu fuͤhlen. Die Ge-
ſchichte der Krankheiten zeigt, daß nicht nur Affecten und koͤr-
perliche Wunden, daß ſelbſt der Wahnſinn ſich ſympathetiſch
fortbreiten konnte.
Bei Kindern ſehen wir alſo die Wirkungen dieſes Con-
ſenſus gleichgeſtimmter Weſen im hohen Grad; ja eben auch
dazu ſollte ihr Koͤrper lange Jahre ein leicht-zuruͤcktoͤnendes
Saitenſpiel bleiben. Handlungen und Gebehrden, ſelbſt Lei-
denſchaften und Gedanken gehen unvermerkt in ſie uͤber, ſo
daß ſie auch zu dem was ſie noch nicht uͤben koͤnnen, wenigſtens
geſtimmt werden und einem Triebe, der eine Art geiſtiger Aſſi-
milation iſt, unwiſſend folgen. Bei allen Soͤhnen der Natur,
den wilden Voͤlkern, iſts nicht anders. Gebohrne Pantomi-
men, ahmen ſie alles, was ihnen erzaͤhlt wird oder was ſie
ausdruͤcken wollen, lebhaft nach und zeigen damit in Taͤnzen,
Spielen, Scherz und Geſpraͤchen ihre eigentliche Denkart.
Nachahmend naͤmlich kam ihre Phantaſie zu dieſen Bildern:
in Typen ſolcher Art beſtehet der Schatz ihres Gedaͤchtnißes
und ihrer Sprache; daher gehen auch ihre Gedanken ſo leicht
in Handlung und lebendige Tradition uͤber.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/236>, abgerufen am 26.11.2024.
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