weisen, die er ihm nicht anders erweisen konnte? -- Daß aber der Ruhm der Väter in der Seele ihres Stammes unsterblich lebe und wirke, zeigen bei den meisten Völkern ihre Lieder und Kriege, ihre Geschichten und Sagen, am meisten die mit ewiger Hoch- achtung derselben sich forterbende Lebensweise.
Gemeinschaftliche Gefahren endlich erwecken gemein- schaftlichen Muth; sie knüpfen also das dritte und edelste Band der Männer, die Freundschaft. Jn Lebensarten und Ländern, die gemeinschaftliche Unternehmungen nöthig ma- chen, sind auch heroische Seelen vorhanden, die den Bund der Liebe auf Leben und Tod knüpfen. Dergleichen waren jene ewigberühmten Freunde der Griechischen Heldenzeit; dergleichen waren jene gepriesenen Scythen und sind allent- halben noch unter den Völkern, die Jagd, Krieg, Züge in Wäldern und Wüsteneien oder sonst Abentheuer lieben. Der Ackermann kennet nur einen Nachbar, der Handwerker einen Zunftgenossen, den er begünstigt oder neidet, der Wechsler endlich, der Gelehrte, der Fürstendiener -- wie entfernter sind sie von jener eigen-gewählten, thätigen, erprobten Freund- schaft, von der eher der Wandrer, der Gefangne, der Sklave weiß, der mit dem andern an Einer Kette ächzet. Jn Zeiten des Bedürfnisses, in Gegenden der Noth verbünden sich See- len: der sterbende Freund ruft den Freund um Rache seines
Blutes
weiſen, die er ihm nicht anders erweiſen konnte? — Daß aber der Ruhm der Vaͤter in der Seele ihres Stammes unſterblich lebe und wirke, zeigen bei den meiſten Voͤlkern ihre Lieder und Kriege, ihre Geſchichten und Sagen, am meiſten die mit ewiger Hoch- achtung derſelben ſich forterbende Lebensweiſe.
Gemeinſchaftliche Gefahren endlich erwecken gemein- ſchaftlichen Muth; ſie knuͤpfen alſo das dritte und edelſte Band der Maͤnner, die Freundſchaft. Jn Lebensarten und Laͤndern, die gemeinſchaftliche Unternehmungen noͤthig ma- chen, ſind auch heroiſche Seelen vorhanden, die den Bund der Liebe auf Leben und Tod knuͤpfen. Dergleichen waren jene ewigberuͤhmten Freunde der Griechiſchen Heldenzeit; dergleichen waren jene geprieſenen Scythen und ſind allent- halben noch unter den Voͤlkern, die Jagd, Krieg, Zuͤge in Waͤldern und Wuͤſteneien oder ſonſt Abentheuer lieben. Der Ackermann kennet nur einen Nachbar, der Handwerker einen Zunftgenoſſen, den er beguͤnſtigt oder neidet, der Wechsler endlich, der Gelehrte, der Fuͤrſtendiener — wie entfernter ſind ſie von jener eigen-gewaͤhlten, thaͤtigen, erprobten Freund- ſchaft, von der eher der Wandrer, der Gefangne, der Sklave weiß, der mit dem andern an Einer Kette aͤchzet. Jn Zeiten des Beduͤrfniſſes, in Gegenden der Noth verbuͤnden ſich See- len: der ſterbende Freund ruft den Freund um Rache ſeines
Blutes
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weiſen, die er ihm nicht anders erweiſen konnte? — Daß aber der
Ruhm der Vaͤter in der Seele ihres Stammes unſterblich lebe
und wirke, zeigen bei den meiſten Voͤlkern ihre Lieder und Kriege,
ihre Geſchichten und Sagen, am meiſten die mit ewiger Hoch-
achtung derſelben ſich forterbende Lebensweiſe.
Gemeinſchaftliche Gefahren endlich erwecken gemein-
ſchaftlichen Muth; ſie knuͤpfen alſo das dritte und edelſte
Band der Maͤnner, die Freundſchaft. Jn Lebensarten und
Laͤndern, die gemeinſchaftliche Unternehmungen noͤthig ma-
chen, ſind auch heroiſche Seelen vorhanden, die den Bund
der Liebe auf Leben und Tod knuͤpfen. Dergleichen waren
jene ewigberuͤhmten Freunde der Griechiſchen Heldenzeit;
dergleichen waren jene geprieſenen Scythen und ſind allent-
halben noch unter den Voͤlkern, die Jagd, Krieg, Zuͤge in
Waͤldern und Wuͤſteneien oder ſonſt Abentheuer lieben. Der
Ackermann kennet nur einen Nachbar, der Handwerker einen
Zunftgenoſſen, den er beguͤnſtigt oder neidet, der Wechsler
endlich, der Gelehrte, der Fuͤrſtendiener — wie entfernter
ſind ſie von jener eigen-gewaͤhlten, thaͤtigen, erprobten Freund-
ſchaft, von der eher der Wandrer, der Gefangne, der Sklave
weiß, der mit dem andern an Einer Kette aͤchzet. Jn Zeiten
des Beduͤrfniſſes, in Gegenden der Noth verbuͤnden ſich See-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/203>, abgerufen am 29.11.2024.
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