Mich dünkt, es ist niemand, der hiebei nicht die ein- förmige Hand der organisirenden Schöpferin, die in allen ih- ren Werken gleichartig wirkt, gewahr werde. Wenn die menschliche Länge zurückbleibt: so bleibt es in jenen Gegen- den die Vegetation noch vielmehr: wenige, kleine Bäume wachsen: Moose und Gesträuche kriechen an der Erde. Selbst die mit Eisen beschlagne Meßstange kürzete sich im Frost; und es sollte sich nicht die menschliche Fiber kürzen? Trotz ih- res inwohnenden organischen Lebens. Dies kann aber nur zurückgedrängt und gleichsam in einen kleinern Kreis der Bil- dung eingeschlossen werden; abermals eine Analogie der Wir- kung bey allen Organisationen. Die äußern Glieder der Seethiere und andern Geschöpfe der kalten Zone sind klein und zart: die Natur hielt, so viel möglich, alles zusammen in der Region der innern Wärme: die Vögel daselbst wur- den mit dichten Federn, die Thiere mit einer sie umhüllen- den Fettigkeit belegt, wie hier der Mensch mit seiner blutrei- chen, wärmenden Hülle. Auch von außen hat ihnen, und zwar aus Einem und eben demselben Principium aller Orga- nisationen auf der Erde, die Natur das versagen müssen, was dieser Complexion nicht diente. Würze würden ihren zur innern Fäulung geneigten Körper hinrichten, wie das ihnen zugebrachte Tollwasser der Brantwein so viele hinge- richtet hat: das Klima hat sie ihnen also versagt und zwingt
sie
Mich duͤnkt, es iſt niemand, der hiebei nicht die ein- foͤrmige Hand der organiſirenden Schoͤpferin, die in allen ih- ren Werken gleichartig wirkt, gewahr werde. Wenn die menſchliche Laͤnge zuruͤckbleibt: ſo bleibt es in jenen Gegen- den die Vegetation noch vielmehr: wenige, kleine Baͤume wachſen: Mooſe und Geſtraͤuche kriechen an der Erde. Selbſt die mit Eiſen beſchlagne Meßſtange kuͤrzete ſich im Froſt; und es ſollte ſich nicht die menſchliche Fiber kuͤrzen? Trotz ih- res inwohnenden organiſchen Lebens. Dies kann aber nur zuruͤckgedraͤngt und gleichſam in einen kleinern Kreis der Bil- dung eingeſchloſſen werden; abermals eine Analogie der Wir- kung bey allen Organiſationen. Die aͤußern Glieder der Seethiere und andern Geſchoͤpfe der kalten Zone ſind klein und zart: die Natur hielt, ſo viel moͤglich, alles zuſammen in der Region der innern Waͤrme: die Voͤgel daſelbſt wur- den mit dichten Federn, die Thiere mit einer ſie umhuͤllen- den Fettigkeit belegt, wie hier der Menſch mit ſeiner blutrei- chen, waͤrmenden Huͤlle. Auch von außen hat ihnen, und zwar aus Einem und eben demſelben Principium aller Orga- niſationen auf der Erde, die Natur das verſagen muͤſſen, was dieſer Complexion nicht diente. Wuͤrze wuͤrden ihren zur innern Faͤulung geneigten Koͤrper hinrichten, wie das ihnen zugebrachte Tollwaſſer der Brantwein ſo viele hinge- richtet hat: das Klima hat ſie ihnen alſo verſagt und zwingt
ſie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0020"n="8"/><p>Mich duͤnkt, es iſt niemand, der hiebei nicht die ein-<lb/>
foͤrmige Hand der organiſirenden Schoͤpferin, die in allen ih-<lb/>
ren Werken gleichartig wirkt, gewahr werde. Wenn die<lb/>
menſchliche Laͤnge zuruͤckbleibt: ſo bleibt es in jenen Gegen-<lb/>
den die Vegetation noch vielmehr: wenige, kleine Baͤume<lb/>
wachſen: Mooſe und Geſtraͤuche kriechen an der Erde. Selbſt<lb/>
die mit Eiſen beſchlagne Meßſtange kuͤrzete ſich im Froſt;<lb/>
und es ſollte ſich nicht die menſchliche Fiber kuͤrzen? Trotz ih-<lb/>
res inwohnenden organiſchen Lebens. Dies kann aber nur<lb/>
zuruͤckgedraͤngt und gleichſam in einen kleinern Kreis der Bil-<lb/>
dung eingeſchloſſen werden; abermals eine Analogie der Wir-<lb/>
kung bey allen Organiſationen. Die aͤußern Glieder der<lb/>
Seethiere und andern Geſchoͤpfe der kalten Zone ſind klein<lb/>
und zart: die Natur hielt, ſo viel moͤglich, alles zuſammen<lb/>
in der Region der innern Waͤrme: die Voͤgel daſelbſt wur-<lb/>
den mit dichten Federn, die Thiere mit einer ſie umhuͤllen-<lb/>
den Fettigkeit belegt, wie hier der Menſch mit ſeiner blutrei-<lb/>
chen, waͤrmenden Huͤlle. Auch von außen hat ihnen, und<lb/>
zwar aus Einem und eben demſelben Principium aller Orga-<lb/>
niſationen auf der Erde, die Natur das verſagen muͤſſen,<lb/>
was dieſer Complexion nicht diente. Wuͤrze wuͤrden ihren<lb/>
zur innern Faͤulung geneigten Koͤrper hinrichten, wie das<lb/>
ihnen zugebrachte Tollwaſſer der Brantwein ſo viele hinge-<lb/>
richtet hat: das Klima hat ſie ihnen alſo verſagt und zwingt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſie</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[8/0020]
Mich duͤnkt, es iſt niemand, der hiebei nicht die ein-
foͤrmige Hand der organiſirenden Schoͤpferin, die in allen ih-
ren Werken gleichartig wirkt, gewahr werde. Wenn die
menſchliche Laͤnge zuruͤckbleibt: ſo bleibt es in jenen Gegen-
den die Vegetation noch vielmehr: wenige, kleine Baͤume
wachſen: Mooſe und Geſtraͤuche kriechen an der Erde. Selbſt
die mit Eiſen beſchlagne Meßſtange kuͤrzete ſich im Froſt;
und es ſollte ſich nicht die menſchliche Fiber kuͤrzen? Trotz ih-
res inwohnenden organiſchen Lebens. Dies kann aber nur
zuruͤckgedraͤngt und gleichſam in einen kleinern Kreis der Bil-
dung eingeſchloſſen werden; abermals eine Analogie der Wir-
kung bey allen Organiſationen. Die aͤußern Glieder der
Seethiere und andern Geſchoͤpfe der kalten Zone ſind klein
und zart: die Natur hielt, ſo viel moͤglich, alles zuſammen
in der Region der innern Waͤrme: die Voͤgel daſelbſt wur-
den mit dichten Federn, die Thiere mit einer ſie umhuͤllen-
den Fettigkeit belegt, wie hier der Menſch mit ſeiner blutrei-
chen, waͤrmenden Huͤlle. Auch von außen hat ihnen, und
zwar aus Einem und eben demſelben Principium aller Orga-
niſationen auf der Erde, die Natur das verſagen muͤſſen,
was dieſer Complexion nicht diente. Wuͤrze wuͤrden ihren
zur innern Faͤulung geneigten Koͤrper hinrichten, wie das
ihnen zugebrachte Tollwaſſer der Brantwein ſo viele hinge-
richtet hat: das Klima hat ſie ihnen alſo verſagt und zwingt
ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/20>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.