Wie einem der von den Wellen des Meers eine Schiffahrt in die Luft thun soll: so ist mir, da ich jetzt nach den Bil- dungen und Naturkräften der Menschheit auf ihren Geist komme und die veränderlichen Eigenschaften desselben auf unserm weiten Erdrunde aus fremden, mangelhaften und zum Theil unsichern Nachrichten zu erforschen wage. Der Meta- physiker hat es hier leichter. Er setzt einen Begrif der Seele vest und entwickelt aus ihm, was sich entwickeln läßt, wo und in welchen Zuständen es sich auch finde. Dem Philosophen der Geschichte kann keine Abstraction, sondern Geschichte al- lein zum Grunde liegen und er läuft Gefahr, trügliche Re- sultate zu ziehen, wenn er die zahllosen facta nicht wenigstens in einiger Allgemeinheit verbindet. Jndessen versuche ich den Weg und kreuze, statt des überfliegenden Schiffes, lieber an den Küsten: d. i. ich halte mich an gewisse oder für gewiß geachtete facta, von denen ich meine Muthmaaßungen sondre und überlasse es Glücklichern, sie besser zu ordnen und zu gebrauchen.
I.
Jdeen,II.Th. R
Wie einem der von den Wellen des Meers eine Schiffahrt in die Luft thun ſoll: ſo iſt mir, da ich jetzt nach den Bil- dungen und Naturkraͤften der Menſchheit auf ihren Geiſt komme und die veraͤnderlichen Eigenſchaften deſſelben auf unſerm weiten Erdrunde aus fremden, mangelhaften und zum Theil unſichern Nachrichten zu erforſchen wage. Der Meta- phyſiker hat es hier leichter. Er ſetzt einen Begrif der Seele veſt und entwickelt aus ihm, was ſich entwickeln laͤßt, wo und in welchen Zuſtaͤnden es ſich auch finde. Dem Philoſophen der Geſchichte kann keine Abſtraction, ſondern Geſchichte al- lein zum Grunde liegen und er laͤuft Gefahr, truͤgliche Re- ſultate zu ziehen, wenn er die zahlloſen facta nicht wenigſtens in einiger Allgemeinheit verbindet. Jndeſſen verſuche ich den Weg und kreuze, ſtatt des uͤberfliegenden Schiffes, lieber an den Kuͤſten: d. i. ich halte mich an gewiſſe oder fuͤr gewiß geachtete facta, von denen ich meine Muthmaaßungen ſondre und uͤberlaſſe es Gluͤcklichern, ſie beſſer zu ordnen und zu gebrauchen.
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Jdeen,II.Th. R
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Wie einem der von den Wellen des Meers eine Schiffahrt
in die Luft thun ſoll: ſo iſt mir, da ich jetzt nach den Bil-
dungen und Naturkraͤften der Menſchheit auf ihren Geiſt
komme und die veraͤnderlichen Eigenſchaften deſſelben auf
unſerm weiten Erdrunde aus fremden, mangelhaften und zum
Theil unſichern Nachrichten zu erforſchen wage. Der Meta-
phyſiker hat es hier leichter. Er ſetzt einen Begrif der Seele
veſt und entwickelt aus ihm, was ſich entwickeln laͤßt, wo und
in welchen Zuſtaͤnden es ſich auch finde. Dem Philoſophen
der Geſchichte kann keine Abſtraction, ſondern Geſchichte al-
lein zum Grunde liegen und er laͤuft Gefahr, truͤgliche Re-
ſultate zu ziehen, wenn er die zahlloſen facta nicht wenigſtens
in einiger Allgemeinheit verbindet. Jndeſſen verſuche ich den
Weg und kreuze, ſtatt des uͤberfliegenden Schiffes, lieber an
den Kuͤſten: d. i. ich halte mich an gewiſſe oder fuͤr gewiß
geachtete facta, von denen ich meine Muthmaaßungen ſondre
und uͤberlaſſe es Gluͤcklichern, ſie beſſer zu ordnen und zu
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/141>, abgerufen am 24.11.2024.
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