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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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heiten der Mensch seinem Bau und Gebilde nach unterworfen
seyn könne und das physiognomische Auge, selbst der Kinder,
bemerkt die natürliche Art (phuse) des Menschen in seinem
Gebilde, d. i. die Gestalt, in der sich sein Genius offenbaret.

Ferner. Sollten sich nicht diese Formen, diese
Harmonieen zusammentreffender Theile bemerken und
als Buchstaben gleichsam in ein Alphabet bringen las-
sen?
Vollständig werden diese Buchstaben nie werden: denn
das ist auch kein Alphabet irgend einer Sprache; zur Cha-
rakteristik der menschlichen Natur aber in ihren Hauptgestalten
würde durch ein sorgsames Studium dieser lebendigen Säu-
lenordnungen unsres Geschlechts gewiß ein weites Feld geöf-
net. Schränkte man sich dabei nicht auf Europa ein und
nähme noch weniger unser gewohntes Jdeal zum Muster aller
Gesundheit und Schönheit; sondern verfolgte die lebendige
Natur überall auf der Erde, in welchen Harmonieen zusam-
menstimmender Theile sie sich hie und da mannichfaltig und
immer ganz zeige; ohne Zweifel würden zahlreiche Entdeckun-
gen über den Concentus und die Melodie lebendiger Kräfte im
Bau des Menschen der Lohn dieser Bemerkungen werden. Ja
vielleicht würde uns dies Studium des natürlichen Consensus
der Formen im menschlichen Körper weiter führen als die so
oft und fast immer mit Undank bearbeitete Lehre der Comple-

xionen
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heiten der Menſch ſeinem Bau und Gebilde nach unterworfen
ſeyn koͤnne und das phyſiognomiſche Auge, ſelbſt der Kinder,
bemerkt die natuͤrliche Art (φυση) des Menſchen in ſeinem
Gebilde, d. i. die Geſtalt, in der ſich ſein Genius offenbaret.

Ferner. Sollten ſich nicht dieſe Formen, dieſe
Harmonieen zuſammentreffender Theile bemerken und
als Buchſtaben gleichſam in ein Alphabet bringen laſ-
ſen?
Vollſtaͤndig werden dieſe Buchſtaben nie werden: denn
das iſt auch kein Alphabet irgend einer Sprache; zur Cha-
rakteriſtik der menſchlichen Natur aber in ihren Hauptgeſtalten
wuͤrde durch ein ſorgſames Studium dieſer lebendigen Saͤu-
lenordnungen unſres Geſchlechts gewiß ein weites Feld geoͤf-
net. Schraͤnkte man ſich dabei nicht auf Europa ein und
naͤhme noch weniger unſer gewohntes Jdeal zum Muſter aller
Geſundheit und Schoͤnheit; ſondern verfolgte die lebendige
Natur uͤberall auf der Erde, in welchen Harmonieen zuſam-
menſtimmender Theile ſie ſich hie und da mannichfaltig und
immer ganz zeige; ohne Zweifel wuͤrden zahlreiche Entdeckun-
gen uͤber den Concentus und die Melodie lebendiger Kraͤfte im
Bau des Menſchen der Lohn dieſer Bemerkungen werden. Ja
vielleicht wuͤrde uns dies Studium des natuͤrlichen Conſenſus
der Formen im menſchlichen Koͤrper weiter fuͤhren als die ſo
oft und faſt immer mit Undank bearbeitete Lehre der Comple-

xionen
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[115/0127] heiten der Menſch ſeinem Bau und Gebilde nach unterworfen ſeyn koͤnne und das phyſiognomiſche Auge, ſelbſt der Kinder, bemerkt die natuͤrliche Art (φυση) des Menſchen in ſeinem Gebilde, d. i. die Geſtalt, in der ſich ſein Genius offenbaret. Ferner. Sollten ſich nicht dieſe Formen, dieſe Harmonieen zuſammentreffender Theile bemerken und als Buchſtaben gleichſam in ein Alphabet bringen laſ- ſen? Vollſtaͤndig werden dieſe Buchſtaben nie werden: denn das iſt auch kein Alphabet irgend einer Sprache; zur Cha- rakteriſtik der menſchlichen Natur aber in ihren Hauptgeſtalten wuͤrde durch ein ſorgſames Studium dieſer lebendigen Saͤu- lenordnungen unſres Geſchlechts gewiß ein weites Feld geoͤf- net. Schraͤnkte man ſich dabei nicht auf Europa ein und naͤhme noch weniger unſer gewohntes Jdeal zum Muſter aller Geſundheit und Schoͤnheit; ſondern verfolgte die lebendige Natur uͤberall auf der Erde, in welchen Harmonieen zuſam- menſtimmender Theile ſie ſich hie und da mannichfaltig und immer ganz zeige; ohne Zweifel wuͤrden zahlreiche Entdeckun- gen uͤber den Concentus und die Melodie lebendiger Kraͤfte im Bau des Menſchen der Lohn dieſer Bemerkungen werden. Ja vielleicht wuͤrde uns dies Studium des natuͤrlichen Conſenſus der Formen im menſchlichen Koͤrper weiter fuͤhren als die ſo oft und faſt immer mit Undank bearbeitete Lehre der Comple- xionen P 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/127>, abgerufen am 24.11.2024.