Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

aber auch hier ist die Anwendung selbst allgemein-anerkannter
Gesetze schwer und trüglich. Die Zonen der Alten haben sich
durch die neuere Kenntniß fremder Welttheile nicht bestätigt,
wie sie denn auch, physisch betrachtet, auf Unkunde derselben
gebauet waren. Ein Gleiches ists mit der Hitze und Kälte
nach der Menge der Sonnenstralen und dem Winkel ihres
Auffalls berechnet. Als mathematische Aufgabe ist ihre
Wirkung mit genauem Fleiß bestimmt worden; der Mathe-
matiker selbst aber würde es für einen Misbrauch seiner Re-
gel ansehen, wenn der philosophische Geschichtschreiber des
Klima darauf Schlüsse ohne Ausnahmen bautea). Hier
giebt die Nähe des Meers, dort ein Wind, hier die Höhe
oder Tiefe des Landes, an einem vierten Ort nachbarliche
Berge, am fünften Regen und Dünste dem allgemeinen Ge-
setz eine so neue Local-Bestimmung, daß oft die nachbarlich-
sten Orte das gegenseitigste Klima empfinden. Ueberdem ist
aus neueren Erfahrungen klar, daß jedes lebendige Wesen
eine eigne Art hat, Wärme zu empfangen und von sich zu
treiben, ja daß je organischer der Bau eines Geschöpfs wird
und je mehr es eigne thätige Lebenskraft äussert, um so mehr
auch ein Vermögen äussert, relative Wärme und Kälte zu

erzeu-
a) S. Kästners Erläuterung der Halleyischen Methode, die Wär-
me zu berechnen, hamb. Magaz. S. 429. u. f.

aber auch hier iſt die Anwendung ſelbſt allgemein-anerkannter
Geſetze ſchwer und truͤglich. Die Zonen der Alten haben ſich
durch die neuere Kenntniß fremder Welttheile nicht beſtaͤtigt,
wie ſie denn auch, phyſiſch betrachtet, auf Unkunde derſelben
gebauet waren. Ein Gleiches iſts mit der Hitze und Kaͤlte
nach der Menge der Sonnenſtralen und dem Winkel ihres
Auffalls berechnet. Als mathematiſche Aufgabe iſt ihre
Wirkung mit genauem Fleiß beſtimmt worden; der Mathe-
matiker ſelbſt aber wuͤrde es fuͤr einen Misbrauch ſeiner Re-
gel anſehen, wenn der philoſophiſche Geſchichtſchreiber des
Klima darauf Schluͤſſe ohne Ausnahmen bautea). Hier
giebt die Naͤhe des Meers, dort ein Wind, hier die Hoͤhe
oder Tiefe des Landes, an einem vierten Ort nachbarliche
Berge, am fuͤnften Regen und Duͤnſte dem allgemeinen Ge-
ſetz eine ſo neue Local-Beſtimmung, daß oft die nachbarlich-
ſten Orte das gegenſeitigſte Klima empfinden. Ueberdem iſt
aus neueren Erfahrungen klar, daß jedes lebendige Weſen
eine eigne Art hat, Waͤrme zu empfangen und von ſich zu
treiben, ja daß je organiſcher der Bau eines Geſchoͤpfs wird
und je mehr es eigne thaͤtige Lebenskraft aͤuſſert, um ſo mehr
auch ein Vermoͤgen aͤuſſert, relative Waͤrme und Kaͤlte zu

erzeu-
a) S. Kaͤſtners Erlaͤuterung der Halleyiſchen Methode, die Waͤr-
me zu berechnen, hamb. Magaz. S. 429. u. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="94"/>
aber auch hier i&#x017F;t die Anwendung &#x017F;elb&#x017F;t allgemein-anerkannter<lb/>
Ge&#x017F;etze &#x017F;chwer und tru&#x0364;glich. Die Zonen der Alten haben &#x017F;ich<lb/>
durch die neuere Kenntniß fremder Welttheile nicht be&#x017F;ta&#x0364;tigt,<lb/>
wie &#x017F;ie denn auch, phy&#x017F;i&#x017F;ch betrachtet, auf Unkunde der&#x017F;elben<lb/>
gebauet waren. Ein Gleiches i&#x017F;ts mit der Hitze und Ka&#x0364;lte<lb/>
nach der Menge der Sonnen&#x017F;tralen und dem Winkel ihres<lb/>
Auffalls berechnet. Als mathemati&#x017F;che Aufgabe i&#x017F;t ihre<lb/>
Wirkung mit genauem Fleiß be&#x017F;timmt worden; der Mathe-<lb/>
matiker &#x017F;elb&#x017F;t aber wu&#x0364;rde es fu&#x0364;r einen Misbrauch &#x017F;einer Re-<lb/>
gel an&#x017F;ehen, wenn der philo&#x017F;ophi&#x017F;che Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber des<lb/>
Klima darauf Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ohne Ausnahmen baute<note place="foot" n="a)">S. <hi rendition="#fr">Ka&#x0364;&#x017F;tners</hi> Erla&#x0364;uterung der Halleyi&#x017F;chen Methode, die Wa&#x0364;r-<lb/>
me zu berechnen, hamb. Magaz. S. 429. u. f.</note>. Hier<lb/>
giebt die Na&#x0364;he des Meers, dort ein Wind, hier die Ho&#x0364;he<lb/>
oder Tiefe des Landes, an einem vierten Ort nachbarliche<lb/>
Berge, am fu&#x0364;nften Regen und Du&#x0364;n&#x017F;te dem allgemeinen Ge-<lb/>
&#x017F;etz eine &#x017F;o neue Local-Be&#x017F;timmung, daß oft die nachbarlich-<lb/>
&#x017F;ten Orte das gegen&#x017F;eitig&#x017F;te Klima empfinden. Ueberdem i&#x017F;t<lb/>
aus neueren Erfahrungen klar, daß jedes lebendige We&#x017F;en<lb/>
eine eigne Art hat, Wa&#x0364;rme zu empfangen und von &#x017F;ich zu<lb/>
treiben, ja daß je organi&#x017F;cher der Bau eines Ge&#x017F;cho&#x0364;pfs wird<lb/>
und je mehr es eigne tha&#x0364;tige Lebenskraft a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert, um &#x017F;o mehr<lb/>
auch ein Vermo&#x0364;gen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert, relative Wa&#x0364;rme und Ka&#x0364;lte zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">erzeu-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0106] aber auch hier iſt die Anwendung ſelbſt allgemein-anerkannter Geſetze ſchwer und truͤglich. Die Zonen der Alten haben ſich durch die neuere Kenntniß fremder Welttheile nicht beſtaͤtigt, wie ſie denn auch, phyſiſch betrachtet, auf Unkunde derſelben gebauet waren. Ein Gleiches iſts mit der Hitze und Kaͤlte nach der Menge der Sonnenſtralen und dem Winkel ihres Auffalls berechnet. Als mathematiſche Aufgabe iſt ihre Wirkung mit genauem Fleiß beſtimmt worden; der Mathe- matiker ſelbſt aber wuͤrde es fuͤr einen Misbrauch ſeiner Re- gel anſehen, wenn der philoſophiſche Geſchichtſchreiber des Klima darauf Schluͤſſe ohne Ausnahmen baute a). Hier giebt die Naͤhe des Meers, dort ein Wind, hier die Hoͤhe oder Tiefe des Landes, an einem vierten Ort nachbarliche Berge, am fuͤnften Regen und Duͤnſte dem allgemeinen Ge- ſetz eine ſo neue Local-Beſtimmung, daß oft die nachbarlich- ſten Orte das gegenſeitigſte Klima empfinden. Ueberdem iſt aus neueren Erfahrungen klar, daß jedes lebendige Weſen eine eigne Art hat, Waͤrme zu empfangen und von ſich zu treiben, ja daß je organiſcher der Bau eines Geſchoͤpfs wird und je mehr es eigne thaͤtige Lebenskraft aͤuſſert, um ſo mehr auch ein Vermoͤgen aͤuſſert, relative Waͤrme und Kaͤlte zu erzeu- a) S. Kaͤſtners Erlaͤuterung der Halleyiſchen Methode, die Waͤr- me zu berechnen, hamb. Magaz. S. 429. u. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/106
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/106>, abgerufen am 02.05.2024.