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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Afrikanische Sonne sie zu Kindern angenommen und ihr Sie-
gel auf sie gepräget; wohin ihr sie führt, zeihet euch dieses
als Menschendiebe, als Räuber.

Zweitens. Grausam also sind die Kriege der Wilden
um ihr Land und um die ihnen entrissenen oder beschimpften
und gequälten Söhne desselben, ihre Mitbrüder. Daher
z. B. der verhaltne Haß der Amerikaner gegen die Europäer,
auch wenn diese leidlich mit ihnen umgehn: sie fühlens un-
vertilgbar: "ihr gehöret nicht hieher! das Land ist unser."
Daher die Verräthereien aller sogenannten Wilden, auch
wenn sie von der Höflichkeit der Europäer ganz besänftigt
schienen. Jm ersten Augenblick, da sie zu ihrem angeerb-
ten Nationalgefühl erwachten, brach die Flamme aus, die
sich mit Mühe so lang unter der Asche gehalten hatte; grau-
sam wütete sie umher und ruhte oft nicht eher, bis die Zäh-
ne der Eingebohrnen der Ausländer Fleisch fraßen. Uns
scheint dieses abscheulich, worüber auch wohl kein Zweifel
bleibt; indessen waren die Europäer die ersten, die sie zu
dieser Unthat zwangen: denn warum kamen sie zu ihrem Lan-
de? warum führten sie sich in demselben als fodernde, ge-
waltthätige, übermächtige Despoten aufa). Jahrtausende

waren
a) S. des unglücklichen Marions Voyage a la mer du Sud, An-
merk.

Afrikaniſche Sonne ſie zu Kindern angenommen und ihr Sie-
gel auf ſie gepraͤget; wohin ihr ſie fuͤhrt, zeihet euch dieſes
als Menſchendiebe, als Raͤuber.

Zweitens. Grauſam alſo ſind die Kriege der Wilden
um ihr Land und um die ihnen entriſſenen oder beſchimpften
und gequaͤlten Soͤhne deſſelben, ihre Mitbruͤder. Daher
z. B. der verhaltne Haß der Amerikaner gegen die Europaͤer,
auch wenn dieſe leidlich mit ihnen umgehn: ſie fuͤhlens un-
vertilgbar: „ihr gehoͤret nicht hieher! das Land iſt unſer.“
Daher die Verraͤthereien aller ſogenannten Wilden, auch
wenn ſie von der Hoͤflichkeit der Europaͤer ganz beſaͤnftigt
ſchienen. Jm erſten Augenblick, da ſie zu ihrem angeerb-
ten Nationalgefuͤhl erwachten, brach die Flamme aus, die
ſich mit Muͤhe ſo lang unter der Aſche gehalten hatte; grau-
ſam wuͤtete ſie umher und ruhte oft nicht eher, bis die Zaͤh-
ne der Eingebohrnen der Auslaͤnder Fleiſch fraßen. Uns
ſcheint dieſes abſcheulich, woruͤber auch wohl kein Zweifel
bleibt; indeſſen waren die Europaͤer die erſten, die ſie zu
dieſer Unthat zwangen: denn warum kamen ſie zu ihrem Lan-
de? warum fuͤhrten ſie ſich in demſelben als fodernde, ge-
waltthaͤtige, uͤbermaͤchtige Deſpoten aufa). Jahrtauſende

waren
a) S. des ungluͤcklichen Marions Voyage à la mer du Sud, An-
merk.
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[90/0102] Afrikaniſche Sonne ſie zu Kindern angenommen und ihr Sie- gel auf ſie gepraͤget; wohin ihr ſie fuͤhrt, zeihet euch dieſes als Menſchendiebe, als Raͤuber. Zweitens. Grauſam alſo ſind die Kriege der Wilden um ihr Land und um die ihnen entriſſenen oder beſchimpften und gequaͤlten Soͤhne deſſelben, ihre Mitbruͤder. Daher z. B. der verhaltne Haß der Amerikaner gegen die Europaͤer, auch wenn dieſe leidlich mit ihnen umgehn: ſie fuͤhlens un- vertilgbar: „ihr gehoͤret nicht hieher! das Land iſt unſer.“ Daher die Verraͤthereien aller ſogenannten Wilden, auch wenn ſie von der Hoͤflichkeit der Europaͤer ganz beſaͤnftigt ſchienen. Jm erſten Augenblick, da ſie zu ihrem angeerb- ten Nationalgefuͤhl erwachten, brach die Flamme aus, die ſich mit Muͤhe ſo lang unter der Aſche gehalten hatte; grau- ſam wuͤtete ſie umher und ruhte oft nicht eher, bis die Zaͤh- ne der Eingebohrnen der Auslaͤnder Fleiſch fraßen. Uns ſcheint dieſes abſcheulich, woruͤber auch wohl kein Zweifel bleibt; indeſſen waren die Europaͤer die erſten, die ſie zu dieſer Unthat zwangen: denn warum kamen ſie zu ihrem Lan- de? warum fuͤhrten ſie ſich in demſelben als fodernde, ge- waltthaͤtige, uͤbermaͤchtige Deſpoten auf a). Jahrtauſende waren a) S. des ungluͤcklichen Marions Voyage à la mer du Sud, An- merk.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/102>, abgerufen am 02.05.2024.