Landthiere liegen versteint in Schiefern; versteinte Hölzer und Abdrücke von Blumen, oft beinah anderthalb tausend Fuß tief. Nicht auf dem Boden deiner Erde wandelst du, armer Mensch, sondern auf einem Dach deines Hauses, das durch viel Ueberschwemmungen erst zu dem werden konnte, was es dir jetzt ist. Da wächst für dich einiges Gras, eini- ge Bäume, deren Mutter dir gleichsam der Zufall heran- schwemmte und von denen du als eine Ephemere lebest.
II. Das Pflanzenreich unserer Erde in Beziehung auf die Menschengeschichte.
Das Gewächsreich ist eine höhere Art der Organisation, als alle Gebilde der Erde und hat einen so weiten Umfang, daß es sich sowohl in diesen verliert als in mancherlei Spros- sen und Aehnlichkeiten dem Thierreich nähert. Die Pflan- ze hat eine Art Leben und Lebensalter, sie hat Geschlechter und Befruchtung, Geburt und Tod. Die Oberfläche der Erde war eher für sie als für Thiere und Menschen da; überall drängt sie sich diesen beiden vor und hängt sich in
Gras
J
Landthiere liegen verſteint in Schiefern; verſteinte Hoͤlzer und Abdruͤcke von Blumen, oft beinah anderthalb tauſend Fuß tief. Nicht auf dem Boden deiner Erde wandelſt du, armer Menſch, ſondern auf einem Dach deines Hauſes, das durch viel Ueberſchwemmungen erſt zu dem werden konnte, was es dir jetzt iſt. Da waͤchſt fuͤr dich einiges Gras, eini- ge Baͤume, deren Mutter dir gleichſam der Zufall heran- ſchwemmte und von denen du als eine Ephemere lebeſt.
II. Das Pflanzenreich unſerer Erde in Beziehung auf die Menſchengeſchichte.
Das Gewaͤchsreich iſt eine hoͤhere Art der Organiſation, als alle Gebilde der Erde und hat einen ſo weiten Umfang, daß es ſich ſowohl in dieſen verliert als in mancherlei Sproſ- ſen und Aehnlichkeiten dem Thierreich naͤhert. Die Pflan- ze hat eine Art Leben und Lebensalter, ſie hat Geſchlechter und Befruchtung, Geburt und Tod. Die Oberflaͤche der Erde war eher fuͤr ſie als fuͤr Thiere und Menſchen da; uͤberall draͤngt ſie ſich dieſen beiden vor und haͤngt ſich in
Gras
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Landthiere liegen verſteint in Schiefern; verſteinte Hoͤlzer
und Abdruͤcke von Blumen, oft beinah anderthalb tauſend
Fuß tief. Nicht auf dem Boden deiner Erde wandelſt du,
armer Menſch, ſondern auf einem Dach deines Hauſes, das
durch viel Ueberſchwemmungen erſt zu dem werden konnte,
was es dir jetzt iſt. Da waͤchſt fuͤr dich einiges Gras, eini-
ge Baͤume, deren Mutter dir gleichſam der Zufall heran-
ſchwemmte und von denen du als eine Ephemere lebeſt.
II.
Das Pflanzenreich unſerer Erde in Beziehung
auf die Menſchengeſchichte.
Das Gewaͤchsreich iſt eine hoͤhere Art der Organiſation,
als alle Gebilde der Erde und hat einen ſo weiten Umfang,
daß es ſich ſowohl in dieſen verliert als in mancherlei Sproſ-
ſen und Aehnlichkeiten dem Thierreich naͤhert. Die Pflan-
ze hat eine Art Leben und Lebensalter, ſie hat Geſchlechter
und Befruchtung, Geburt und Tod. Die Oberflaͤche der
Erde war eher fuͤr ſie als fuͤr Thiere und Menſchen da;
uͤberall draͤngt ſie ſich dieſen beiden vor und haͤngt ſich in
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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