gegen ungeheuer spitz und auch der Saturn mit seinem Rin- ge und seinen Monden drückt sich seitwärts nieder. Welche unendliche Verschiedenheit der Jahreszeiten und Sonnen- wirkung wird dadurch in unserm Sternensystem veranlaßt! Unsre Erde ist auch hier ein geschontes Kind, eine mittlere Gesellin: der Winkel, mit dem sie eingesenkt ist, beträgt noch nicht 24 Grade. Ob sie ihn von jeher gehabt? davon darf jetzt noch keine Frage seyn; gnug sie hat ihn. Der unna- türliche wenigstens uns unerklärliche Winkel ist ihr eigen ge- worden und hat sich seit Jahrtausenden nicht verändert; er scheinet auch zu dem, was jetzt die Erde und auf ihr das Menschengeschlecht seyn soll, nothwendig. Mit ihm nem- lich, mit dieser schiefen Richtung zur Ekliptik werden be- stimmt-abwechselnde Zonen, die die ganze Erde bewohnbar machen, vom Pol bis zum Aequator, vom Aequator wieder zum Pol hin. Die Erde muß sich regelmäßig beugen, da- mit auch Gegenden, die sonst in Cimmerischer Kälte und Fin- sterniß lägen, den Stral der Sonne sehn und zur Organisa- tion geschickt werden. Da uns nun die lange Erdgeschichte zeigt, daß auf alle Revolutionen des menschlichen Verstan- des und seiner Wirkungen das Verhältniß der Zonen viel Einfluß gehabt: denn weder aus dem kältesten noch heisse- sten Erdgürtel sind jemals die Wirkungen aufs Ganze er- folgt, die die gemäßigte Zone hervorbrachte; so sehen wir
aber-
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gegen ungeheuer ſpitz und auch der Saturn mit ſeinem Rin- ge und ſeinen Monden druͤckt ſich ſeitwaͤrts nieder. Welche unendliche Verſchiedenheit der Jahreszeiten und Sonnen- wirkung wird dadurch in unſerm Sternenſyſtem veranlaßt! Unſre Erde iſt auch hier ein geſchontes Kind, eine mittlere Geſellin: der Winkel, mit dem ſie eingeſenkt iſt, betraͤgt noch nicht 24 Grade. Ob ſie ihn von jeher gehabt? davon darf jetzt noch keine Frage ſeyn; gnug ſie hat ihn. Der unna- tuͤrliche wenigſtens uns unerklaͤrliche Winkel iſt ihr eigen ge- worden und hat ſich ſeit Jahrtauſenden nicht veraͤndert; er ſcheinet auch zu dem, was jetzt die Erde und auf ihr das Menſchengeſchlecht ſeyn ſoll, nothwendig. Mit ihm nem- lich, mit dieſer ſchiefen Richtung zur Ekliptik werden be- ſtimmt-abwechſelnde Zonen, die die ganze Erde bewohnbar machen, vom Pol bis zum Aequator, vom Aequator wieder zum Pol hin. Die Erde muß ſich regelmaͤßig beugen, da- mit auch Gegenden, die ſonſt in Cimmeriſcher Kaͤlte und Fin- ſterniß laͤgen, den Stral der Sonne ſehn und zur Organiſa- tion geſchickt werden. Da uns nun die lange Erdgeſchichte zeigt, daß auf alle Revolutionen des menſchlichen Verſtan- des und ſeiner Wirkungen das Verhaͤltniß der Zonen viel Einfluß gehabt: denn weder aus dem kaͤlteſten noch heiſſe- ſten Erdguͤrtel ſind jemals die Wirkungen aufs Ganze er- folgt, die die gemaͤßigte Zone hervorbrachte; ſo ſehen wir
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gegen ungeheuer ſpitz und auch der Saturn mit ſeinem Rin-
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unendliche Verſchiedenheit der Jahreszeiten und Sonnen-
wirkung wird dadurch in unſerm Sternenſyſtem veranlaßt!
Unſre Erde iſt auch hier ein geſchontes Kind, eine mittlere
Geſellin: der Winkel, mit dem ſie eingeſenkt iſt, betraͤgt noch
nicht 24 Grade. Ob ſie ihn von jeher gehabt? davon darf
jetzt noch keine Frage ſeyn; gnug ſie hat ihn. Der unna-
tuͤrliche wenigſtens uns unerklaͤrliche Winkel iſt ihr eigen ge-
worden und hat ſich ſeit Jahrtauſenden nicht veraͤndert; er
ſcheinet auch zu dem, was jetzt die Erde und auf ihr das
Menſchengeſchlecht ſeyn ſoll, nothwendig. Mit ihm nem-
lich, mit dieſer ſchiefen Richtung zur Ekliptik werden be-
ſtimmt-abwechſelnde Zonen, die die ganze Erde bewohnbar
machen, vom Pol bis zum Aequator, vom Aequator wieder
zum Pol hin. Die Erde muß ſich regelmaͤßig beugen, da-
mit auch Gegenden, die ſonſt in Cimmeriſcher Kaͤlte und Fin-
ſterniß laͤgen, den Stral der Sonne ſehn und zur Organiſa-
tion geſchickt werden. Da uns nun die lange Erdgeſchichte
zeigt, daß auf alle Revolutionen des menſchlichen Verſtan-
des und ſeiner Wirkungen das Verhaͤltniß der Zonen viel
Einfluß gehabt: denn weder aus dem kaͤlteſten noch heiſſe-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/49>, abgerufen am 23.11.2024.
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