portion erfordert wurde, dem Einem Gewicht seine Freiheit zu geben und die Macht desselben zu zeigen. Der Ausdruck Leibnitz, daß die Seele ein Spiegel des Weltalls sei, ent- hält vielleicht eine tiefere Wahrheit, als die man aus ihm zu entwickeln pfleget; denn auch die Kräfte eines Weltalls scheinen in ihr verborgen und sie bedarf nur einer Organisa- tion oder einer Reihe von Organisationen, diese in Thätig- keit und Uebung setzen zu dörfen. Der Allgütige wird ihr diese Organisationen nicht versagen und er gängelt sie als ein Kind, sie zur Fülle des wachsenden Genusses, im Wahn ei- gen erworbener Kräfte und Sinne allmälich zu bereiten, Schon in ihren gegenwärtigen Fesseln sind ihr Raum und Zeit leere Worte: sie messen und bezeichnen Verhältnisse des Körpers, nicht aber ihres innern Vermögens, das über Raum und Zeit hinaus ist, wenn es in seiner vollen innigen Freude wirket. Um Ort und Stunde deines künftigen Daseyns gib dir also keine Mühe; die Sonne, die deinem Tage leuchtet, misset dir deine Wohnung und dein Erdengeschäft und verdunkelt dir so lange alle himmlische Sterne. Sobald sie untergeht, erscheint die Welt in ihrer größern Gestalt: die heilige Nacht, in der du einst eingewickelt lagest und einst eingewickelt liegen wirst, bedeckt deine Erde mit Schatten und schlägt dir dafür am Himmel die glänzenden Bücher der
Un-
portion erfordert wurde, dem Einem Gewicht ſeine Freiheit zu geben und die Macht deſſelben zu zeigen. Der Ausdruck Leibnitz, daß die Seele ein Spiegel des Weltalls ſei, ent- haͤlt vielleicht eine tiefere Wahrheit, als die man aus ihm zu entwickeln pfleget; denn auch die Kraͤfte eines Weltalls ſcheinen in ihr verborgen und ſie bedarf nur einer Organiſa- tion oder einer Reihe von Organiſationen, dieſe in Thaͤtig- keit und Uebung ſetzen zu doͤrfen. Der Allguͤtige wird ihr dieſe Organiſationen nicht verſagen und er gaͤngelt ſie als ein Kind, ſie zur Fuͤlle des wachſenden Genuſſes, im Wahn ei- gen erworbener Kraͤfte und Sinne allmaͤlich zu bereiten, Schon in ihren gegenwaͤrtigen Feſſeln ſind ihr Raum und Zeit leere Worte: ſie meſſen und bezeichnen Verhaͤltniſſe des Koͤrpers, nicht aber ihres innern Vermoͤgens, das uͤber Raum und Zeit hinaus iſt, wenn es in ſeiner vollen innigen Freude wirket. Um Ort und Stunde deines kuͤnftigen Daſeyns gib dir alſo keine Muͤhe; die Sonne, die deinem Tage leuchtet, miſſet dir deine Wohnung und dein Erdengeſchaͤft und verdunkelt dir ſo lange alle himmliſche Sterne. Sobald ſie untergeht, erſcheint die Welt in ihrer groͤßern Geſtalt: die heilige Nacht, in der du einſt eingewickelt lageſt und einſt eingewickelt liegen wirſt, bedeckt deine Erde mit Schatten und ſchlaͤgt dir dafuͤr am Himmel die glaͤnzenden Buͤcher der
Un-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0318"n="316[296]"/>
portion erfordert wurde, dem Einem Gewicht ſeine Freiheit<lb/>
zu geben und die Macht deſſelben zu zeigen. Der Ausdruck<lb/><hirendition="#fr">Leibnitz</hi>, daß die Seele ein Spiegel des Weltalls ſei, ent-<lb/>
haͤlt vielleicht eine tiefere Wahrheit, als die man aus ihm<lb/>
zu entwickeln pfleget; denn auch die Kraͤfte eines Weltalls<lb/>ſcheinen in ihr verborgen und ſie bedarf nur einer Organiſa-<lb/>
tion oder einer Reihe von Organiſationen, dieſe in Thaͤtig-<lb/>
keit und Uebung ſetzen zu doͤrfen. Der Allguͤtige wird ihr<lb/>
dieſe Organiſationen nicht verſagen und er gaͤngelt ſie als ein<lb/>
Kind, ſie zur Fuͤlle des wachſenden Genuſſes, im Wahn ei-<lb/>
gen erworbener Kraͤfte und Sinne allmaͤlich zu bereiten,<lb/>
Schon in ihren gegenwaͤrtigen Feſſeln ſind ihr <hirendition="#fr">Raum</hi> und<lb/><hirendition="#fr">Zeit</hi> leere Worte: ſie meſſen und bezeichnen Verhaͤltniſſe des<lb/>
Koͤrpers, nicht aber ihres innern Vermoͤgens, das uͤber Raum<lb/>
und Zeit hinaus iſt, wenn es in ſeiner vollen innigen Freude<lb/>
wirket. Um Ort und Stunde deines kuͤnftigen Daſeyns gib<lb/>
dir alſo keine Muͤhe; die Sonne, die deinem Tage leuchtet,<lb/>
miſſet dir deine Wohnung und dein Erdengeſchaͤft und<lb/>
verdunkelt dir ſo lange alle himmliſche Sterne. Sobald ſie<lb/>
untergeht, erſcheint die Welt in ihrer groͤßern Geſtalt: die<lb/>
heilige Nacht, in der du einſt eingewickelt lageſt und einſt<lb/>
eingewickelt liegen wirſt, bedeckt deine Erde mit Schatten<lb/>
und ſchlaͤgt dir dafuͤr am Himmel die glaͤnzenden Buͤcher der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Un-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[316[296]/0318]
portion erfordert wurde, dem Einem Gewicht ſeine Freiheit
zu geben und die Macht deſſelben zu zeigen. Der Ausdruck
Leibnitz, daß die Seele ein Spiegel des Weltalls ſei, ent-
haͤlt vielleicht eine tiefere Wahrheit, als die man aus ihm
zu entwickeln pfleget; denn auch die Kraͤfte eines Weltalls
ſcheinen in ihr verborgen und ſie bedarf nur einer Organiſa-
tion oder einer Reihe von Organiſationen, dieſe in Thaͤtig-
keit und Uebung ſetzen zu doͤrfen. Der Allguͤtige wird ihr
dieſe Organiſationen nicht verſagen und er gaͤngelt ſie als ein
Kind, ſie zur Fuͤlle des wachſenden Genuſſes, im Wahn ei-
gen erworbener Kraͤfte und Sinne allmaͤlich zu bereiten,
Schon in ihren gegenwaͤrtigen Feſſeln ſind ihr Raum und
Zeit leere Worte: ſie meſſen und bezeichnen Verhaͤltniſſe des
Koͤrpers, nicht aber ihres innern Vermoͤgens, das uͤber Raum
und Zeit hinaus iſt, wenn es in ſeiner vollen innigen Freude
wirket. Um Ort und Stunde deines kuͤnftigen Daſeyns gib
dir alſo keine Muͤhe; die Sonne, die deinem Tage leuchtet,
miſſet dir deine Wohnung und dein Erdengeſchaͤft und
verdunkelt dir ſo lange alle himmliſche Sterne. Sobald ſie
untergeht, erſcheint die Welt in ihrer groͤßern Geſtalt: die
heilige Nacht, in der du einſt eingewickelt lageſt und einſt
eingewickelt liegen wirſt, bedeckt deine Erde mit Schatten
und ſchlaͤgt dir dafuͤr am Himmel die glaͤnzenden Buͤcher der
Un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 316[296]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/318>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.