Und so können wir auch leicht ahnen, was aus unsrer Menschheit allein in jene Welt übergehen kann; es ist eben diese Gottähnliche Humanität, die verschlossene Knospe der wahren Gestalt der Menschheit. Alles Nothdürftige dieser Erde ist nur für sie: wir lassen den Kalk unsrer Ge- beine den Steinen und geben den Elementen das Jhrige wieder. Alle sinnlichen Triebe, in denen wir, wie die Thie- re, der irdischen Haushaltung dienten, haben ihr Werk voll- bracht; sie sollten bei dem Menschen die Veranlassung edle- rer Gesinnungen und Bemühungen werden und damit ist ihr Werk vollendet. Das Bedürfniß der Nahrung sollte ihn zur Arbeit, zur Gesellschaft, zum Gehorsam gegen Ge- setze und Einrichtung erwecken und ihn unter ein heilsames, der Erde unentbehrliches Joch fesseln. Der Trieb der Ge- schlechter sollte Geselligkeit, väterliche, eheliche, kindliche Lie- be auch in die harte Brust des Unmenschen pflanzen und schwere, langwierige Bemühungen für sein Geschlecht ihm angenehm machen, weil er sie ja für die Seinen, für sein Fleisch und Blut übernehme. Solche Absicht hatte die Na- tur bei allen Bedürfnissen der Erde; jedes derselben sollte eine Mutterhülle seyn, in der ein Keim der Humanität sproß- te. Glücklich, wenn er gesproßt ist; er wird unter dem Stral einer schönern Sonne Blüthe werden. Wahrheit, Schönheit und Liebe waren das Ziel, nach dem der Mensch in
jeder
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Und ſo koͤnnen wir auch leicht ahnen, was aus unſrer Menſchheit allein in jene Welt uͤbergehen kann; es iſt eben dieſe Gottaͤhnliche Humanitaͤt, die verſchloſſene Knoſpe der wahren Geſtalt der Menſchheit. Alles Nothduͤrftige dieſer Erde iſt nur fuͤr ſie: wir laſſen den Kalk unſrer Ge- beine den Steinen und geben den Elementen das Jhrige wieder. Alle ſinnlichen Triebe, in denen wir, wie die Thie- re, der irdiſchen Haushaltung dienten, haben ihr Werk voll- bracht; ſie ſollten bei dem Menſchen die Veranlaſſung edle- rer Geſinnungen und Bemuͤhungen werden und damit iſt ihr Werk vollendet. Das Beduͤrfniß der Nahrung ſollte ihn zur Arbeit, zur Geſellſchaft, zum Gehorſam gegen Ge- ſetze und Einrichtung erwecken und ihn unter ein heilſames, der Erde unentbehrliches Joch feſſeln. Der Trieb der Ge- ſchlechter ſollte Geſelligkeit, vaͤterliche, eheliche, kindliche Lie- be auch in die harte Bruſt des Unmenſchen pflanzen und ſchwere, langwierige Bemuͤhungen fuͤr ſein Geſchlecht ihm angenehm machen, weil er ſie ja fuͤr die Seinen, fuͤr ſein Fleiſch und Blut uͤbernehme. Solche Abſicht hatte die Na- tur bei allen Beduͤrfniſſen der Erde; jedes derſelben ſollte eine Mutterhuͤlle ſeyn, in der ein Keim der Humanitaͤt ſproß- te. Gluͤcklich, wenn er geſproßt iſt; er wird unter dem Stral einer ſchoͤnern Sonne Bluͤthe werden. Wahrheit, Schoͤnheit und Liebe waren das Ziel, nach dem der Menſch in
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[303[283]/0305]
Und ſo koͤnnen wir auch leicht ahnen, was aus unſrer
Menſchheit allein in jene Welt uͤbergehen kann; es iſt eben
dieſe Gottaͤhnliche Humanitaͤt, die verſchloſſene Knoſpe
der wahren Geſtalt der Menſchheit. Alles Nothduͤrftige
dieſer Erde iſt nur fuͤr ſie: wir laſſen den Kalk unſrer Ge-
beine den Steinen und geben den Elementen das Jhrige
wieder. Alle ſinnlichen Triebe, in denen wir, wie die Thie-
re, der irdiſchen Haushaltung dienten, haben ihr Werk voll-
bracht; ſie ſollten bei dem Menſchen die Veranlaſſung edle-
rer Geſinnungen und Bemuͤhungen werden und damit iſt
ihr Werk vollendet. Das Beduͤrfniß der Nahrung ſollte
ihn zur Arbeit, zur Geſellſchaft, zum Gehorſam gegen Ge-
ſetze und Einrichtung erwecken und ihn unter ein heilſames,
der Erde unentbehrliches Joch feſſeln. Der Trieb der Ge-
ſchlechter ſollte Geſelligkeit, vaͤterliche, eheliche, kindliche Lie-
be auch in die harte Bruſt des Unmenſchen pflanzen und
ſchwere, langwierige Bemuͤhungen fuͤr ſein Geſchlecht ihm
angenehm machen, weil er ſie ja fuͤr die Seinen, fuͤr ſein
Fleiſch und Blut uͤbernehme. Solche Abſicht hatte die Na-
tur bei allen Beduͤrfniſſen der Erde; jedes derſelben ſollte
eine Mutterhuͤlle ſeyn, in der ein Keim der Humanitaͤt ſproß-
te. Gluͤcklich, wenn er geſproßt iſt; er wird unter dem
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 303[283]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/305>, abgerufen am 23.11.2024.
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