Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite
IV.
Das Reich der Menschenorganisation ist ein
System geistiger Kräfte.



Der vornehmste Zweifel, den man sich gegen die Unsterb-
lichkeit organischer Kräfte zu machen pflegt, ist von den
Werkzeugen hergenommen, durch die sie wirken; und ich darf
behaupten, daß gerade die Beleuchtung dieses Zweifels uns
das größeste Licht nicht nur der Hofnung sondern der Zuver-
sicht ewiger Fortwirkung anzünde. Keine Blume blühet
durch den äußerlichen Staub, den groben Bestandtheil ihres
Baues; viel weniger reproducirt sich durch denselben ein im-
mer neu wachsendes Thier und noch weniger kann durch die
Bestandtheile, in die ein Hirn aufgelöset wird, eine innige
Kraft so vieler mit ihr verbundener Kräfte als unsre Seele
ist, denken. Selbst die Physiologie überzeugt uns davon.
Das äußerliche Bild, das sich im Auge mahlet, kommt nicht
in unser Gehirn: der Schall, der sich in unserm Ohr bricht,
kommt nicht mechanisch als solcher in unsre Seele. Kein
Nerve liegt ausgespannt da, daß er bis zu einem Punkt der
Vereinigung vibrire: bei einigen Thieren kommen nicht ein-


mal
IV.
Das Reich der Menſchenorganiſation iſt ein
Syſtem geiſtiger Kraͤfte.



Der vornehmſte Zweifel, den man ſich gegen die Unſterb-
lichkeit organiſcher Kraͤfte zu machen pflegt, iſt von den
Werkzeugen hergenommen, durch die ſie wirken; und ich darf
behaupten, daß gerade die Beleuchtung dieſes Zweifels uns
das groͤßeſte Licht nicht nur der Hofnung ſondern der Zuver-
ſicht ewiger Fortwirkung anzuͤnde. Keine Blume bluͤhet
durch den aͤußerlichen Staub, den groben Beſtandtheil ihres
Baues; viel weniger reproducirt ſich durch denſelben ein im-
mer neu wachſendes Thier und noch weniger kann durch die
Beſtandtheile, in die ein Hirn aufgeloͤſet wird, eine innige
Kraft ſo vieler mit ihr verbundener Kraͤfte als unſre Seele
iſt, denken. Selbſt die Phyſiologie uͤberzeugt uns davon.
Das aͤußerliche Bild, das ſich im Auge mahlet, kommt nicht
in unſer Gehirn: der Schall, der ſich in unſerm Ohr bricht,
kommt nicht mechaniſch als ſolcher in unſre Seele. Kein
Nerve liegt ausgeſpannt da, daß er bis zu einem Punkt der
Vereinigung vibrire: bei einigen Thieren kommen nicht ein-


mal
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0290" n="288[268]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">IV.</hi><lb/>
Das Reich der Men&#x017F;chenorgani&#x017F;ation i&#x017F;t ein<lb/>
Sy&#x017F;tem gei&#x017F;tiger Kra&#x0364;fte.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>er vornehm&#x017F;te Zweifel, den man &#x017F;ich gegen die Un&#x017F;terb-<lb/>
lichkeit organi&#x017F;cher Kra&#x0364;fte zu machen pflegt, i&#x017F;t von den<lb/>
Werkzeugen hergenommen, durch die &#x017F;ie wirken; und ich darf<lb/>
behaupten, daß gerade die Beleuchtung die&#x017F;es Zweifels uns<lb/>
das gro&#x0364;ße&#x017F;te Licht nicht nur der Hofnung &#x017F;ondern der Zuver-<lb/>
&#x017F;icht ewiger Fortwirkung anzu&#x0364;nde. Keine Blume blu&#x0364;het<lb/>
durch den a&#x0364;ußerlichen Staub, den groben Be&#x017F;tandtheil ihres<lb/>
Baues; viel weniger reproducirt &#x017F;ich durch den&#x017F;elben ein im-<lb/>
mer neu wach&#x017F;endes Thier und noch weniger kann durch die<lb/>
Be&#x017F;tandtheile, in die ein Hirn aufgelo&#x0364;&#x017F;et wird, eine innige<lb/>
Kraft &#x017F;o vieler mit ihr verbundener Kra&#x0364;fte als un&#x017F;re Seele<lb/>
i&#x017F;t, denken. Selb&#x017F;t die Phy&#x017F;iologie u&#x0364;berzeugt uns davon.<lb/>
Das a&#x0364;ußerliche Bild, das &#x017F;ich im Auge mahlet, kommt nicht<lb/>
in un&#x017F;er Gehirn: der Schall, der &#x017F;ich in un&#x017F;erm Ohr bricht,<lb/>
kommt nicht mechani&#x017F;ch als &#x017F;olcher in un&#x017F;re Seele. Kein<lb/>
Nerve liegt ausge&#x017F;pannt da, daß er bis zu einem Punkt der<lb/>
Vereinigung vibrire: bei einigen Thieren kommen nicht ein-</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">mal</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288[268]/0290] IV. Das Reich der Menſchenorganiſation iſt ein Syſtem geiſtiger Kraͤfte. Der vornehmſte Zweifel, den man ſich gegen die Unſterb- lichkeit organiſcher Kraͤfte zu machen pflegt, iſt von den Werkzeugen hergenommen, durch die ſie wirken; und ich darf behaupten, daß gerade die Beleuchtung dieſes Zweifels uns das groͤßeſte Licht nicht nur der Hofnung ſondern der Zuver- ſicht ewiger Fortwirkung anzuͤnde. Keine Blume bluͤhet durch den aͤußerlichen Staub, den groben Beſtandtheil ihres Baues; viel weniger reproducirt ſich durch denſelben ein im- mer neu wachſendes Thier und noch weniger kann durch die Beſtandtheile, in die ein Hirn aufgeloͤſet wird, eine innige Kraft ſo vieler mit ihr verbundener Kraͤfte als unſre Seele iſt, denken. Selbſt die Phyſiologie uͤberzeugt uns davon. Das aͤußerliche Bild, das ſich im Auge mahlet, kommt nicht in unſer Gehirn: der Schall, der ſich in unſerm Ohr bricht, kommt nicht mechaniſch als ſolcher in unſre Seele. Kein Nerve liegt ausgeſpannt da, daß er bis zu einem Punkt der Vereinigung vibrire: bei einigen Thieren kommen nicht ein- mal

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/290
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 288[268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/290>, abgerufen am 23.11.2024.