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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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als wunderbar und widernatürlich anstaunen, aber nicht be-
greifen. Da nun auch diese nicht ohne organische Gründe
seyn können: so liesse sich, wenn uns über dies Dunkle der
Schöpfungsstäte einige Vermuthung vergönnt ist, das Men-
schengeschlecht als der große Zusammenfluß niederer or-
ganischer Kräfte
ansehen, die in ihm zur Bildung der Hu-
manität kommen sollten.

Aber nun weiter? Der Mensch hat hier das Bild der
Gottheit getragen und der feinsten Organisation genossen,
die ihm die Erde geben konnte; soll er rückwärts gehen und
wieder Stamm, Pflanze, Elephant werden? oder stehet bei
ihm das Rad der Schöpfung still und hat kein andres Rad,
worinn es greife? Das letzte lässet sich nicht gedenken, da
im Reich der obersten Güte und Weisheit alles verbunden
ist und in ewigem Zusammenhange Kraft in Kraft wirket.
Schauen wir nun zurück und sehen, wie hinter uns alles
aufs Menschengebilds zu reifen scheint und sich im Menschen
wiederum von dem, was er seyn soll und worauf er absicht-
lich gebildet worden, nur die erste Knospe und Anlage findet:
so müßte aller Zusammenhang, alle Absicht der Natur ein
Traum seyn oder auch Er rückt, (auf welchen Wegen und
Gängen es nun auch seyn möge) auch Er rückt weiter. Las-
set uns sehen, wie die ganze Anlage der Menschennatur uns
darauf weise.


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als wunderbar und widernatuͤrlich anſtaunen, aber nicht be-
greifen. Da nun auch dieſe nicht ohne organiſche Gruͤnde
ſeyn koͤnnen: ſo lieſſe ſich, wenn uns uͤber dies Dunkle der
Schoͤpfungsſtaͤte einige Vermuthung vergoͤnnt iſt, das Men-
ſchengeſchlecht als der große Zuſammenfluß niederer or-
ganiſcher Kraͤfte
anſehen, die in ihm zur Bildung der Hu-
manitaͤt kommen ſollten.

Aber nun weiter? Der Menſch hat hier das Bild der
Gottheit getragen und der feinſten Organiſation genoſſen,
die ihm die Erde geben konnte; ſoll er ruͤckwaͤrts gehen und
wieder Stamm, Pflanze, Elephant werden? oder ſtehet bei
ihm das Rad der Schoͤpfung ſtill und hat kein andres Rad,
worinn es greife? Das letzte laͤſſet ſich nicht gedenken, da
im Reich der oberſten Guͤte und Weisheit alles verbunden
iſt und in ewigem Zuſammenhange Kraft in Kraft wirket.
Schauen wir nun zuruͤck und ſehen, wie hinter uns alles
aufs Menſchengebilds zu reifen ſcheint und ſich im Menſchen
wiederum von dem, was er ſeyn ſoll und worauf er abſicht-
lich gebildet worden, nur die erſte Knoſpe und Anlage findet:
ſo muͤßte aller Zuſammenhang, alle Abſicht der Natur ein
Traum ſeyn oder auch Er ruͤckt, (auf welchen Wegen und
Gaͤngen es nun auch ſeyn moͤge) auch Er ruͤckt weiter. Laſ-
ſet uns ſehen, wie die ganze Anlage der Menſchennatur uns
darauf weiſe.


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[287[267]/0289] als wunderbar und widernatuͤrlich anſtaunen, aber nicht be- greifen. Da nun auch dieſe nicht ohne organiſche Gruͤnde ſeyn koͤnnen: ſo lieſſe ſich, wenn uns uͤber dies Dunkle der Schoͤpfungsſtaͤte einige Vermuthung vergoͤnnt iſt, das Men- ſchengeſchlecht als der große Zuſammenfluß niederer or- ganiſcher Kraͤfte anſehen, die in ihm zur Bildung der Hu- manitaͤt kommen ſollten. Aber nun weiter? Der Menſch hat hier das Bild der Gottheit getragen und der feinſten Organiſation genoſſen, die ihm die Erde geben konnte; ſoll er ruͤckwaͤrts gehen und wieder Stamm, Pflanze, Elephant werden? oder ſtehet bei ihm das Rad der Schoͤpfung ſtill und hat kein andres Rad, worinn es greife? Das letzte laͤſſet ſich nicht gedenken, da im Reich der oberſten Guͤte und Weisheit alles verbunden iſt und in ewigem Zuſammenhange Kraft in Kraft wirket. Schauen wir nun zuruͤck und ſehen, wie hinter uns alles aufs Menſchengebilds zu reifen ſcheint und ſich im Menſchen wiederum von dem, was er ſeyn ſoll und worauf er abſicht- lich gebildet worden, nur die erſte Knoſpe und Anlage findet: ſo muͤßte aller Zuſammenhang, alle Abſicht der Natur ein Traum ſeyn oder auch Er ruͤckt, (auf welchen Wegen und Gaͤngen es nun auch ſeyn moͤge) auch Er ruͤckt weiter. Laſ- ſet uns ſehen, wie die ganze Anlage der Menſchennatur uns darauf weiſe. IV L l 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 287[267]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/289>, abgerufen am 27.11.2024.