schen, werde ich auf ihr finden wollen und mit allem vorlieb nehmen, was die große Mutter hervorbringt, trägt, nährt, duldet und zuletzt liebreich in ihren Schoos aufnimmt. Jhre Schwestern, andre Erden mögen sich andrer, auch vielleicht herrlicherer Geschöpfe rühmen und freuen können; gnug, auf ihr lebt, was auf ihr leben kann. Mein Auge ist für den Sonnenstral in dieser und keiner andern Sonnenentfernung, mein Ohr für diese Luft, mein Körper für diese Erdmasse, alle meine Sinnen aus dieser und für diese Erdorganisation gebildet: dem gemäß wirken auch meine Seelenkräfte; der ganze Raum und Wirkungskreis meines Geschlechts ist also so festbestimmt und umschrieben, als die Masse und Bahn der Erde, auf der ich mich ausleben soll: daher auch in vie- len Sprachen der Mensch von seiner Mutter Erde den Na- men führet. Je in einen größern Chor der Harmonie, Güte und Weisheit aber diese meine Mutter gehört, je fester und herrlicher die Gesetze sind, auf der ihr und aller Welten Da- seyn ruhet, je mehr ich bemerke, daß in ihnen Alles aus Ei- nem folgt und Eins zu Allem dienet: desto fester finde ich auch mein Schicksal nicht an den Erdenstaub, sondern an die unsichtbaren Gesetze geknüpft, die den Erdstaub regieren. Die Kraft, die in mir denkt und wirkt, ist ihrer Natur nach eine so ewige Kraft, als jene, die Sonnen und Sterne zusam- menhält: ihr Werkzeug kann sich abreiben, die Sphäre ihrer
Wirkung
ſchen, werde ich auf ihr finden wollen und mit allem vorlieb nehmen, was die große Mutter hervorbringt, traͤgt, naͤhrt, duldet und zuletzt liebreich in ihren Schoos aufnimmt. Jhre Schweſtern, andre Erden moͤgen ſich andrer, auch vielleicht herrlicherer Geſchoͤpfe ruͤhmen und freuen koͤnnen; gnug, auf ihr lebt, was auf ihr leben kann. Mein Auge iſt fuͤr den Sonnenſtral in dieſer und keiner andern Sonnenentfernung, mein Ohr fuͤr dieſe Luft, mein Koͤrper fuͤr dieſe Erdmaſſe, alle meine Sinnen aus dieſer und fuͤr dieſe Erdorganiſation gebildet: dem gemaͤß wirken auch meine Seelenkraͤfte; der ganze Raum und Wirkungskreis meines Geſchlechts iſt alſo ſo feſtbeſtimmt und umſchrieben, als die Maſſe und Bahn der Erde, auf der ich mich ausleben ſoll: daher auch in vie- len Sprachen der Menſch von ſeiner Mutter Erde den Na- men fuͤhret. Je in einen groͤßern Chor der Harmonie, Guͤte und Weisheit aber dieſe meine Mutter gehoͤrt, je feſter und herrlicher die Geſetze ſind, auf der ihr und aller Welten Da- ſeyn ruhet, je mehr ich bemerke, daß in ihnen Alles aus Ei- nem folgt und Eins zu Allem dienet: deſto feſter finde ich auch mein Schickſal nicht an den Erdenſtaub, ſondern an die unſichtbaren Geſetze geknuͤpft, die den Erdſtaub regieren. Die Kraft, die in mir denkt und wirkt, iſt ihrer Natur nach eine ſo ewige Kraft, als jene, die Sonnen und Sterne zuſam- menhaͤlt: ihr Werkzeug kann ſich abreiben, die Sphaͤre ihrer
Wirkung
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ſchen, werde ich auf ihr finden wollen und mit allem vorlieb
nehmen, was die große Mutter hervorbringt, traͤgt, naͤhrt,
duldet und zuletzt liebreich in ihren Schoos aufnimmt. Jhre
Schweſtern, andre Erden moͤgen ſich andrer, auch vielleicht
herrlicherer Geſchoͤpfe ruͤhmen und freuen koͤnnen; gnug, auf
ihr lebt, was auf ihr leben kann. Mein Auge iſt fuͤr den
Sonnenſtral in dieſer und keiner andern Sonnenentfernung,
mein Ohr fuͤr dieſe Luft, mein Koͤrper fuͤr dieſe Erdmaſſe,
alle meine Sinnen aus dieſer und fuͤr dieſe Erdorganiſation
gebildet: dem gemaͤß wirken auch meine Seelenkraͤfte; der
ganze Raum und Wirkungskreis meines Geſchlechts iſt alſo
ſo feſtbeſtimmt und umſchrieben, als die Maſſe und Bahn
der Erde, auf der ich mich ausleben ſoll: daher auch in vie-
len Sprachen der Menſch von ſeiner Mutter Erde den Na-
men fuͤhret. Je in einen groͤßern Chor der Harmonie, Guͤte
und Weisheit aber dieſe meine Mutter gehoͤrt, je feſter und
herrlicher die Geſetze ſind, auf der ihr und aller Welten Da-
ſeyn ruhet, je mehr ich bemerke, daß in ihnen Alles aus Ei-
nem folgt und Eins zu Allem dienet: deſto feſter finde ich
auch mein Schickſal nicht an den Erdenſtaub, ſondern an die
unſichtbaren Geſetze geknuͤpft, die den Erdſtaub regieren.
Die Kraft, die in mir denkt und wirkt, iſt ihrer Natur nach
eine ſo ewige Kraft, als jene, die Sonnen und Sterne zuſam-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/29>, abgerufen am 25.11.2024.
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