so ungetheilt als ich kann, vom Ganzen aufs Einzelne, vom Einzelnen aufs Ganze. Es war nur Eine Kraft, die die glänzende Sonne schuf und mein Staubkorn an ihr erhält; nur Eine Kraft, die eine Milchstrasse von Sonnen sich viel- leicht um den Sirius bewegen läßt, und die in Gesetzen der Schwere auf meinem Erdkörper wirket. Da ich nun sehe, daß der Raum, den diese Erde in unserm Sonnentempel ein- nimmt, die Stelle, die sie mit ihrem Umlauf bezeichnet, ihre Größe, ihre Masse, nebst allem was davon abhängt, durch Gesetze bestimmt ist, die im Unermeßlichen wirken: so werde ich, wenn ich nicht gegen das Unendliche rasen will, nicht nur auf dieser Stelle zufrieden seyn und mich freuen, daß ich auf ihr ins Harmonie-reiche Chor zahlloser Wesen getreten, sondern es wird auch mein erhabenstes Geschäft seyn, zu fra- gen, was ich auf dieser Stelle seyn soll und vermuthlich nur auf ihr seyn kann? Fände ich auch in dem was mir das Ein- geschränkteste und Widrigste scheint, nicht nur Spuren jener grossen bildenden Kraft sondern auch offenbaren Zusammen- hang des Kleinsten mit dem Entwurf des Schöpfers ins Un- gemessene hinaus: so wird es die schönste Eigenschaft meiner Gott-nachahmenden Vernunft seyn, diesem Plan nachzuge- hen und mich der himmlischen Vernunft zu fügen. Auf der Erde werde ich also keine Engel des Himmels suchen, deren keinen mein Auge je gesehen hat; aber Erdbewohner, Men-
schen,
ſo ungetheilt als ich kann, vom Ganzen aufs Einzelne, vom Einzelnen aufs Ganze. Es war nur Eine Kraft, die die glaͤnzende Sonne ſchuf und mein Staubkorn an ihr erhaͤlt; nur Eine Kraft, die eine Milchſtraſſe von Sonnen ſich viel- leicht um den Sirius bewegen laͤßt, und die in Geſetzen der Schwere auf meinem Erdkoͤrper wirket. Da ich nun ſehe, daß der Raum, den dieſe Erde in unſerm Sonnentempel ein- nimmt, die Stelle, die ſie mit ihrem Umlauf bezeichnet, ihre Groͤße, ihre Maſſe, nebſt allem was davon abhaͤngt, durch Geſetze beſtimmt iſt, die im Unermeßlichen wirken: ſo werde ich, wenn ich nicht gegen das Unendliche raſen will, nicht nur auf dieſer Stelle zufrieden ſeyn und mich freuen, daß ich auf ihr ins Harmonie-reiche Chor zahlloſer Weſen getreten, ſondern es wird auch mein erhabenſtes Geſchaͤft ſeyn, zu fra- gen, was ich auf dieſer Stelle ſeyn ſoll und vermuthlich nur auf ihr ſeyn kann? Faͤnde ich auch in dem was mir das Ein- geſchraͤnkteſte und Widrigſte ſcheint, nicht nur Spuren jener groſſen bildenden Kraft ſondern auch offenbaren Zuſammen- hang des Kleinſten mit dem Entwurf des Schoͤpfers ins Un- gemeſſene hinaus: ſo wird es die ſchoͤnſte Eigenſchaft meiner Gott-nachahmenden Vernunft ſeyn, dieſem Plan nachzuge- hen und mich der himmliſchen Vernunft zu fuͤgen. Auf der Erde werde ich alſo keine Engel des Himmels ſuchen, deren keinen mein Auge je geſehen hat; aber Erdbewohner, Men-
ſchen,
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ſo ungetheilt als ich kann, vom Ganzen aufs Einzelne, vom
Einzelnen aufs Ganze. Es war nur Eine Kraft, die die
glaͤnzende Sonne ſchuf und mein Staubkorn an ihr erhaͤlt;
nur Eine Kraft, die eine Milchſtraſſe von Sonnen ſich viel-
leicht um den Sirius bewegen laͤßt, und die in Geſetzen der
Schwere auf meinem Erdkoͤrper wirket. Da ich nun ſehe,
daß der Raum, den dieſe Erde in unſerm Sonnentempel ein-
nimmt, die Stelle, die ſie mit ihrem Umlauf bezeichnet, ihre
Groͤße, ihre Maſſe, nebſt allem was davon abhaͤngt, durch
Geſetze beſtimmt iſt, die im Unermeßlichen wirken: ſo werde
ich, wenn ich nicht gegen das Unendliche raſen will, nicht
nur auf dieſer Stelle zufrieden ſeyn und mich freuen, daß ich
auf ihr ins Harmonie-reiche Chor zahlloſer Weſen getreten,
ſondern es wird auch mein erhabenſtes Geſchaͤft ſeyn, zu fra-
gen, was ich auf dieſer Stelle ſeyn ſoll und vermuthlich nur
auf ihr ſeyn kann? Faͤnde ich auch in dem was mir das Ein-
geſchraͤnkteſte und Widrigſte ſcheint, nicht nur Spuren jener
groſſen bildenden Kraft ſondern auch offenbaren Zuſammen-
hang des Kleinſten mit dem Entwurf des Schoͤpfers ins Un-
gemeſſene hinaus: ſo wird es die ſchoͤnſte Eigenſchaft meiner
Gott-nachahmenden Vernunft ſeyn, dieſem Plan nachzuge-
hen und mich der himmliſchen Vernunft zu fuͤgen. Auf der
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/28>, abgerufen am 25.11.2024.
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