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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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animalisirt sie zu Theilen sein selbst: die niedern Kräfte gehn
in feinere Formen des Lebens über. So ists mit allen fleisch-
fressenden Thieren: die Natur hat die Uebergänge rasch ge-
macht, gleich als ob sie sich vor allem langsamen Tode fürch-
tete. Darum verkürzte sie und beschleunigte die Wege der
Transformation in höhere Lebensformen. Unter allen Thie-
ren ist das Geschöpf der feinsten Organe, der Mensch, der
größeste Mörder. Er kann beinah alles, was an lebendiger
Organisation nur nicht zu tief unter ihm steht, in seine Na-
tur verwandeln.

Warum wählte der Schöpfer diese dem äußern Anblick
nach zerstörende Einrichtung seiner lebendigen Reiche? Wa-
ren es feindliche Mächte, die sich ins Werk theilten und ein
Geschlecht dem andern zur Beute machten? oder war es
Ohnmacht des Schöpfers, der seine Kinder nicht anders zu
erhalten wußte? Nehmet die äußere Hülle weg und es ist
kein Tod in der Schöpfung; jede Zerstörung ist Uebergang
zum höhern Leben und der weise Vater machte diesen so früh,
so rasch, so vielfach, als es die Erhaltung der Geschlechter
und der Selbstgenuß des Geschöpfs, das sich seiner Hülle freuen
und sie wo möglich auswirken sollte, nur gestatten konnte.
Durch tausend gewaltsame Tode kam er dem langsamen Er-
sterben vor und beförderte den Keim der blühenden Kraft zu

hö-

animaliſirt ſie zu Theilen ſein ſelbſt: die niedern Kraͤfte gehn
in feinere Formen des Lebens uͤber. So iſts mit allen fleiſch-
freſſenden Thieren: die Natur hat die Uebergaͤnge raſch ge-
macht, gleich als ob ſie ſich vor allem langſamen Tode fuͤrch-
tete. Darum verkuͤrzte ſie und beſchleunigte die Wege der
Transformation in hoͤhere Lebensformen. Unter allen Thie-
ren iſt das Geſchoͤpf der feinſten Organe, der Menſch, der
groͤßeſte Moͤrder. Er kann beinah alles, was an lebendiger
Organiſation nur nicht zu tief unter ihm ſteht, in ſeine Na-
tur verwandeln.

Warum waͤhlte der Schoͤpfer dieſe dem aͤußern Anblick
nach zerſtoͤrende Einrichtung ſeiner lebendigen Reiche? Wa-
ren es feindliche Maͤchte, die ſich ins Werk theilten und ein
Geſchlecht dem andern zur Beute machten? oder war es
Ohnmacht des Schoͤpfers, der ſeine Kinder nicht anders zu
erhalten wußte? Nehmet die aͤußere Huͤlle weg und es iſt
kein Tod in der Schoͤpfung; jede Zerſtoͤrung iſt Uebergang
zum hoͤhern Leben und der weiſe Vater machte dieſen ſo fruͤh,
ſo raſch, ſo vielfach, als es die Erhaltung der Geſchlechter
und der Selbſtgenuß des Geſchoͤpfs, das ſich ſeiner Huͤlle freuen
und ſie wo moͤglich auswirken ſollte, nur geſtatten konnte.
Durch tauſend gewaltſame Tode kam er dem langſamen Er-
ſterben vor und befoͤrderte den Keim der bluͤhenden Kraft zu

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[283[263]/0285] animaliſirt ſie zu Theilen ſein ſelbſt: die niedern Kraͤfte gehn in feinere Formen des Lebens uͤber. So iſts mit allen fleiſch- freſſenden Thieren: die Natur hat die Uebergaͤnge raſch ge- macht, gleich als ob ſie ſich vor allem langſamen Tode fuͤrch- tete. Darum verkuͤrzte ſie und beſchleunigte die Wege der Transformation in hoͤhere Lebensformen. Unter allen Thie- ren iſt das Geſchoͤpf der feinſten Organe, der Menſch, der groͤßeſte Moͤrder. Er kann beinah alles, was an lebendiger Organiſation nur nicht zu tief unter ihm ſteht, in ſeine Na- tur verwandeln. Warum waͤhlte der Schoͤpfer dieſe dem aͤußern Anblick nach zerſtoͤrende Einrichtung ſeiner lebendigen Reiche? Wa- ren es feindliche Maͤchte, die ſich ins Werk theilten und ein Geſchlecht dem andern zur Beute machten? oder war es Ohnmacht des Schoͤpfers, der ſeine Kinder nicht anders zu erhalten wußte? Nehmet die aͤußere Huͤlle weg und es iſt kein Tod in der Schoͤpfung; jede Zerſtoͤrung iſt Uebergang zum hoͤhern Leben und der weiſe Vater machte dieſen ſo fruͤh, ſo raſch, ſo vielfach, als es die Erhaltung der Geſchlechter und der Selbſtgenuß des Geſchoͤpfs, das ſich ſeiner Huͤlle freuen und ſie wo moͤglich auswirken ſollte, nur geſtatten konnte. Durch tauſend gewaltſame Tode kam er dem langſamen Er- ſterben vor und befoͤrderte den Keim der bluͤhenden Kraft zu hoͤ-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 283[263]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/285>, abgerufen am 23.11.2024.