bei der menschlichen Seele? Sie, die über alle Vermögen niedrigerer Organisationen so weit hinaufgerückt ist, daß sie nicht nur mit einer Art Allgegenwart und Allmacht tausend organische Kräfte meines Körpers als Königin beherrschet: sondern auch (Wunder aller Wunder!) in sich selbst zu blicken, und sich zu beherrschen vermag. Nichts geht hienie- den über die Feinheit, Schnelle und Wirksamkeit eines mensch- lichen Gedanken; nichts über die Energie, Reinheit und Wärme eines menschlichen Willens. Mit allem, was der Mensch denkt, ahmet er der ordnenden, mit allem, was er will und thut, der schaffenden Gottheit nach; er möge so unver- nünftig denken als er wolle. Die Aehnlichkeit liegt in der Sache selbst: sie ist im Wesen seiner Seele gegründet. Die Kraft, die Gott erkennen, ihn lieben und nachahmen kann, ja die nach dem Wesen ihrer Vernunft ihn gleichsam wider Willen erkennen und nachahmen muß, indem sie auch bei Jrr- thümern und Fehlern nur durch Trug und Schwachheit fehl- te; sie, die mächtigste Regentin der Erde sollte untergehen, weil ein äußerer Zustand der Zusammensetzung sich ändert und einige niedere Unterthanen von ihr weichen? Die Künst- lerin wäre nicht mehr, weil ihr das Werkzeug aus der Hand fällt? Wo bliebe hier aller Zusammenhang der Gedan- ken? --
II.
bei der menſchlichen Seele? Sie, die uͤber alle Vermoͤgen niedrigerer Organiſationen ſo weit hinaufgeruͤckt iſt, daß ſie nicht nur mit einer Art Allgegenwart und Allmacht tauſend organiſche Kraͤfte meines Koͤrpers als Koͤnigin beherrſchet: ſondern auch (Wunder aller Wunder!) in ſich ſelbſt zu blicken, und ſich zu beherrſchen vermag. Nichts geht hienie- den uͤber die Feinheit, Schnelle und Wirkſamkeit eines menſch- lichen Gedanken; nichts uͤber die Energie, Reinheit und Waͤrme eines menſchlichen Willens. Mit allem, was der Menſch denkt, ahmet er der ordnenden, mit allem, was er will und thut, der ſchaffenden Gottheit nach; er moͤge ſo unver- nuͤnftig denken als er wolle. Die Aehnlichkeit liegt in der Sache ſelbſt: ſie iſt im Weſen ſeiner Seele gegruͤndet. Die Kraft, die Gott erkennen, ihn lieben und nachahmen kann, ja die nach dem Weſen ihrer Vernunft ihn gleichſam wider Willen erkennen und nachahmen muß, indem ſie auch bei Jrr- thuͤmern und Fehlern nur durch Trug und Schwachheit fehl- te; ſie, die maͤchtigſte Regentin der Erde ſollte untergehen, weil ein aͤußerer Zuſtand der Zuſammenſetzung ſich aͤndert und einige niedere Unterthanen von ihr weichen? Die Kuͤnſt- lerin waͤre nicht mehr, weil ihr das Werkzeug aus der Hand faͤllt? Wo bliebe hier aller Zuſammenhang der Gedan- ken? —
II.
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[272[252]/0274]
bei der menſchlichen Seele? Sie, die uͤber alle Vermoͤgen
niedrigerer Organiſationen ſo weit hinaufgeruͤckt iſt, daß ſie
nicht nur mit einer Art Allgegenwart und Allmacht tauſend
organiſche Kraͤfte meines Koͤrpers als Koͤnigin beherrſchet:
ſondern auch (Wunder aller Wunder!) in ſich ſelbſt zu
blicken, und ſich zu beherrſchen vermag. Nichts geht hienie-
den uͤber die Feinheit, Schnelle und Wirkſamkeit eines menſch-
lichen Gedanken; nichts uͤber die Energie, Reinheit und
Waͤrme eines menſchlichen Willens. Mit allem, was der
Menſch denkt, ahmet er der ordnenden, mit allem, was er will
und thut, der ſchaffenden Gottheit nach; er moͤge ſo unver-
nuͤnftig denken als er wolle. Die Aehnlichkeit liegt in der
Sache ſelbſt: ſie iſt im Weſen ſeiner Seele gegruͤndet. Die
Kraft, die Gott erkennen, ihn lieben und nachahmen kann,
ja die nach dem Weſen ihrer Vernunft ihn gleichſam wider
Willen erkennen und nachahmen muß, indem ſie auch bei Jrr-
thuͤmern und Fehlern nur durch Trug und Schwachheit fehl-
te; ſie, die maͤchtigſte Regentin der Erde ſollte untergehen,
weil ein aͤußerer Zuſtand der Zuſammenſetzung ſich aͤndert
und einige niedere Unterthanen von ihr weichen? Die Kuͤnſt-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 272[252]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/274>, abgerufen am 23.11.2024.
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