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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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menschen geschrieben: denn wenn Er andre frißt, erwartet
nichts als von ihnen gefressen zu werden. Es ist die Regel
des Wahren und Falschen, des Idem und Idem, auf den
Bau aller seiner Sinne, ja ich möchte sagen, auf die auf-
rechte Gestalt des Menschen selbst gegründet. Sähen wir
schief, oder fiele das Licht also: so hätten wir von keiner ge-
raden Linie Begrif. Wäre unsre Organisation ohne Ein
heit, unsre Gedanken ohne Besonnenhit: so schweiften wir
auch in unsern Handlungen in regellosen Krümmen einher und
das menschliche Leben hätte weder Vernunft noch Zweck. Das
Gesetz der Billigkeit und Warheit macht treue Gesellen und
Brüder: ja wenn es Platz gewinnt, macht es aus Feinden selbst
Freunde. Den ich an meine Brust drücke, drückt auch mich
an seine Brust: für den ich mein Leben aufopfere, der opfert
es auch für mich auf. Gleichförmigkeit der Gesinnungen
also, Einheit des Zwecks bei verschiedenen Menschen, gleich-
förmige Treue bei Einem Bunde hat alles Menschen- Völ-
ker und Thierrecht
gestiftet: denn auch Thiere, die in
Gesellschaft leben, befolgen der Billigkeit Gesetz und Men-
schen, die durch List oder Stärke davon weichen, sind die in-
humansten
Geschöpfe, wenn es auch Könige und Monar-
chen der Welt wären. Ohne strenge Billigkeit und Wahr-
heit ist keine Vernunft, keine Humanität denkbar.


6. Die
G g

menſchen geſchrieben: denn wenn Er andre frißt, erwartet
nichts als von ihnen gefreſſen zu werden. Es iſt die Regel
des Wahren und Falſchen, des Idem und Idem, auf den
Bau aller ſeiner Sinne, ja ich moͤchte ſagen, auf die auf-
rechte Geſtalt des Menſchen ſelbſt gegruͤndet. Saͤhen wir
ſchief, oder fiele das Licht alſo: ſo haͤtten wir von keiner ge-
raden Linie Begrif. Waͤre unſre Organiſation ohne Ein
heit, unſre Gedanken ohne Beſonnenhit: ſo ſchweiften wir
auch in unſern Handlungen in regelloſen Kruͤmmen einher und
das menſchliche Leben haͤtte weder Vernunft noch Zweck. Das
Geſetz der Billigkeit und Warheit macht treue Geſellen und
Bruͤder: ja wenn es Platz gewinnt, macht es aus Feinden ſelbſt
Freunde. Den ich an meine Bruſt druͤcke, druͤckt auch mich
an ſeine Bruſt: fuͤr den ich mein Leben aufopfere, der opfert
es auch fuͤr mich auf. Gleichfoͤrmigkeit der Geſinnungen
alſo, Einheit des Zwecks bei verſchiedenen Menſchen, gleich-
foͤrmige Treue bei Einem Bunde hat alles Menſchen- Voͤl-
ker und Thierrecht
geſtiftet: denn auch Thiere, die in
Geſellſchaft leben, befolgen der Billigkeit Geſetz und Men-
ſchen, die durch Liſt oder Staͤrke davon weichen, ſind die in-
humanſten
Geſchoͤpfe, wenn es auch Koͤnige und Monar-
chen der Welt waͤren. Ohne ſtrenge Billigkeit und Wahr-
heit iſt keine Vernunft, keine Humanitaͤt denkbar.


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[253[233]/0255] menſchen geſchrieben: denn wenn Er andre frißt, erwartet nichts als von ihnen gefreſſen zu werden. Es iſt die Regel des Wahren und Falſchen, des Idem und Idem, auf den Bau aller ſeiner Sinne, ja ich moͤchte ſagen, auf die auf- rechte Geſtalt des Menſchen ſelbſt gegruͤndet. Saͤhen wir ſchief, oder fiele das Licht alſo: ſo haͤtten wir von keiner ge- raden Linie Begrif. Waͤre unſre Organiſation ohne Ein heit, unſre Gedanken ohne Beſonnenhit: ſo ſchweiften wir auch in unſern Handlungen in regelloſen Kruͤmmen einher und das menſchliche Leben haͤtte weder Vernunft noch Zweck. Das Geſetz der Billigkeit und Warheit macht treue Geſellen und Bruͤder: ja wenn es Platz gewinnt, macht es aus Feinden ſelbſt Freunde. Den ich an meine Bruſt druͤcke, druͤckt auch mich an ſeine Bruſt: fuͤr den ich mein Leben aufopfere, der opfert es auch fuͤr mich auf. Gleichfoͤrmigkeit der Geſinnungen alſo, Einheit des Zwecks bei verſchiedenen Menſchen, gleich- foͤrmige Treue bei Einem Bunde hat alles Menſchen- Voͤl- ker und Thierrecht geſtiftet: denn auch Thiere, die in Geſellſchaft leben, befolgen der Billigkeit Geſetz und Men- ſchen, die durch Liſt oder Staͤrke davon weichen, ſind die in- humanſten Geſchoͤpfe, wenn es auch Koͤnige und Monar- chen der Welt waͤren. Ohne ſtrenge Billigkeit und Wahr- heit iſt keine Vernunft, keine Humanitaͤt denkbar. 6. Die G g

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 253[233]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/255>, abgerufen am 23.11.2024.