Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

die vielartigste Schnellkraft. Er stehet auf der kleinsten
Basis und kann also am leichtesten seine Glieder decken; der
Punkt seiner Schwere fällt zwischen die lenksamsten und
stärksten Hüften, die Ein Erdengeschöpf hat und wo kein
Thier die regsame Stärke des Menschen beweiset. Seine
gedrücktere ehrene Brust, und die Werkzeuge der Arme eben
an dieser Stellung geben ihm von oben den weitesten Umkreis
der Vertheidigung, sein Herz zu bewahren und seine edelsten
Lebenstheile vom Haupt bis zu den Knieen hinab zu schir-
men. Es ist keine Fabel, daß Menschen mit Löwen gestrit-
ten und sie übermannt haben: Der Afrikaner nimmt es mit
mehr als Einem auf, wenn er Behutsamkeit, List und Ge-
walt verbindet. Jndessen ists wahr, daß der Bau des Men-
schen vorzüglich auf die Vertheidigung, nicht auf den An-
grif gerichtet ist; in diesem muß ihm die Kunst zu Hülfe kom-
men, in jener aber ist er von Natur das kräftigste Geschöpf
der Erde. Seine Gestalt selbst lehret ihn also Friedlichkeit,
nicht räuberische Mordverwüstung: der Humanität erstes
Merkmal.

2. Unter den Trieben, die sich auf andre beziehen, ist
der Geschlechtstrieb der mächtigste; auch Er ist beim Men-
schen dem Bau der Humanität zugeordnet. Was bei dem
vierfüßigen Thier, selbst bei dem schamhaften Elephanten Be-

gattung
F f

die vielartigſte Schnellkraft. Er ſtehet auf der kleinſten
Baſis und kann alſo am leichteſten ſeine Glieder decken; der
Punkt ſeiner Schwere faͤllt zwiſchen die lenkſamſten und
ſtaͤrkſten Huͤften, die Ein Erdengeſchoͤpf hat und wo kein
Thier die regſame Staͤrke des Menſchen beweiſet. Seine
gedruͤcktere ehrene Bruſt, und die Werkzeuge der Arme eben
an dieſer Stellung geben ihm von oben den weiteſten Umkreis
der Vertheidigung, ſein Herz zu bewahren und ſeine edelſten
Lebenstheile vom Haupt bis zu den Knieen hinab zu ſchir-
men. Es iſt keine Fabel, daß Menſchen mit Loͤwen geſtrit-
ten und ſie uͤbermannt haben: Der Afrikaner nimmt es mit
mehr als Einem auf, wenn er Behutſamkeit, Liſt und Ge-
walt verbindet. Jndeſſen iſts wahr, daß der Bau des Men-
ſchen vorzuͤglich auf die Vertheidigung, nicht auf den An-
grif gerichtet iſt; in dieſem muß ihm die Kunſt zu Huͤlfe kom-
men, in jener aber iſt er von Natur das kraͤftigſte Geſchoͤpf
der Erde. Seine Geſtalt ſelbſt lehret ihn alſo Friedlichkeit,
nicht raͤuberiſche Mordverwuͤſtung: der Humanitaͤt erſtes
Merkmal.

2. Unter den Trieben, die ſich auf andre beziehen, iſt
der Geſchlechtstrieb der maͤchtigſte; auch Er iſt beim Men-
ſchen dem Bau der Humanitaͤt zugeordnet. Was bei dem
vierfuͤßigen Thier, ſelbſt bei dem ſchamhaften Elephanten Be-

gattung
F f
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0247" n="245[225]"/>
die vielartig&#x017F;te Schnellkraft. Er &#x017F;tehet auf der klein&#x017F;ten<lb/>
Ba&#x017F;is und kann al&#x017F;o am leichte&#x017F;ten &#x017F;eine Glieder decken; der<lb/>
Punkt &#x017F;einer Schwere fa&#x0364;llt zwi&#x017F;chen die lenk&#x017F;am&#x017F;ten und<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Hu&#x0364;ften, die Ein Erdenge&#x017F;cho&#x0364;pf hat und wo kein<lb/>
Thier die reg&#x017F;ame Sta&#x0364;rke des Men&#x017F;chen bewei&#x017F;et. Seine<lb/>
gedru&#x0364;cktere ehrene Bru&#x017F;t, und die Werkzeuge der Arme eben<lb/>
an die&#x017F;er Stellung geben ihm von oben den weite&#x017F;ten Umkreis<lb/>
der Vertheidigung, &#x017F;ein Herz zu bewahren und &#x017F;eine edel&#x017F;ten<lb/>
Lebenstheile vom Haupt bis zu den Knieen hinab zu &#x017F;chir-<lb/>
men. Es i&#x017F;t keine Fabel, daß Men&#x017F;chen mit Lo&#x0364;wen ge&#x017F;trit-<lb/>
ten und &#x017F;ie u&#x0364;bermannt haben: Der Afrikaner nimmt es mit<lb/>
mehr als Einem auf, wenn er Behut&#x017F;amkeit, Li&#x017F;t und Ge-<lb/>
walt verbindet. Jnde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;ts wahr, daß der Bau des Men-<lb/>
&#x017F;chen vorzu&#x0364;glich auf die Vertheidigung, nicht auf den An-<lb/>
grif gerichtet i&#x017F;t; in die&#x017F;em muß ihm die Kun&#x017F;t zu Hu&#x0364;lfe kom-<lb/>
men, in jener aber i&#x017F;t er von Natur das kra&#x0364;ftig&#x017F;te Ge&#x017F;cho&#x0364;pf<lb/>
der Erde. Seine Ge&#x017F;talt &#x017F;elb&#x017F;t lehret ihn al&#x017F;o <hi rendition="#fr">Friedlichkeit</hi>,<lb/>
nicht ra&#x0364;uberi&#x017F;che Mordverwu&#x0364;&#x017F;tung: der Humanita&#x0364;t er&#x017F;tes<lb/>
Merkmal.</p><lb/>
          <p>2. Unter den Trieben, die &#x017F;ich auf andre beziehen, i&#x017F;t<lb/>
der <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chlechtstrieb</hi> der ma&#x0364;chtig&#x017F;te; auch Er i&#x017F;t beim Men-<lb/>
&#x017F;chen dem Bau der Humanita&#x0364;t zugeordnet. Was bei dem<lb/>
vierfu&#x0364;ßigen Thier, &#x017F;elb&#x017F;t bei dem &#x017F;chamhaften Elephanten Be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f</fw><fw place="bottom" type="catch">gattung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245[225]/0247] die vielartigſte Schnellkraft. Er ſtehet auf der kleinſten Baſis und kann alſo am leichteſten ſeine Glieder decken; der Punkt ſeiner Schwere faͤllt zwiſchen die lenkſamſten und ſtaͤrkſten Huͤften, die Ein Erdengeſchoͤpf hat und wo kein Thier die regſame Staͤrke des Menſchen beweiſet. Seine gedruͤcktere ehrene Bruſt, und die Werkzeuge der Arme eben an dieſer Stellung geben ihm von oben den weiteſten Umkreis der Vertheidigung, ſein Herz zu bewahren und ſeine edelſten Lebenstheile vom Haupt bis zu den Knieen hinab zu ſchir- men. Es iſt keine Fabel, daß Menſchen mit Loͤwen geſtrit- ten und ſie uͤbermannt haben: Der Afrikaner nimmt es mit mehr als Einem auf, wenn er Behutſamkeit, Liſt und Ge- walt verbindet. Jndeſſen iſts wahr, daß der Bau des Men- ſchen vorzuͤglich auf die Vertheidigung, nicht auf den An- grif gerichtet iſt; in dieſem muß ihm die Kunſt zu Huͤlfe kom- men, in jener aber iſt er von Natur das kraͤftigſte Geſchoͤpf der Erde. Seine Geſtalt ſelbſt lehret ihn alſo Friedlichkeit, nicht raͤuberiſche Mordverwuͤſtung: der Humanitaͤt erſtes Merkmal. 2. Unter den Trieben, die ſich auf andre beziehen, iſt der Geſchlechtstrieb der maͤchtigſte; auch Er iſt beim Men- ſchen dem Bau der Humanitaͤt zugeordnet. Was bei dem vierfuͤßigen Thier, ſelbſt bei dem ſchamhaften Elephanten Be- gattung F f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/247
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 245[225]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/247>, abgerufen am 24.11.2024.