von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieser Theile und andre Umstände eine Hülle fodern. Noch ehe der Mensch also seine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge- gen den Stich der Jnsekten durch Kleider oder Salben zu schützen suchte, führte ihn ihn eine Art sinnlicher Oekono- mie des schnellesten und nothwendigsten Triebes auf die Ver- hüllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib gesu- chet seyn und bietet sich nicht dar: sie erfüllet damit unwissend Absichten der Natur und bei den Menschen ist das zartere Weib auch die weise Bewahrerin der holdseligen Schamm, die bei der aufrechten Gestalt sich gar bald entwickeln mußte --
Also bekam der Mensch Kleidung und so bald er diese und einige andere Kunst hatte, war er vermögend jedes Kli- ma der Erde auszudauren und in Besitz zu nehmen. We- nige Thiere, fast der Hund allein, haben ihm in alle Gegen- den nachfolgen können; und doch mit welcher Veränderung ihrer Gestalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem- peramentes! Der Mensch allein hat sich am wenigsten und in wesentlichen Theilen gar nicht verändert. Man erstaunt, wie ganz und einförmig sich seine Natur erhalten, wenn man die Abänderungen seiner wandernden Mitbrüder unter den Thieren siehet. Seine zarte Natur ist so bestimmt, so voll-
kommen
von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieſer Theile und andre Umſtaͤnde eine Huͤlle fodern. Noch ehe der Menſch alſo ſeine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge- gen den Stich der Jnſekten durch Kleider oder Salben zu ſchuͤtzen ſuchte, fuͤhrte ihn ihn eine Art ſinnlicher Oekono- mie des ſchnelleſten und nothwendigſten Triebes auf die Ver- huͤllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib geſu- chet ſeyn und bietet ſich nicht dar: ſie erfuͤllet damit unwiſſend Abſichten der Natur und bei den Menſchen iſt das zartere Weib auch die weiſe Bewahrerin der holdſeligen Schamm, die bei der aufrechten Geſtalt ſich gar bald entwickeln mußte —
Alſo bekam der Menſch Kleidung und ſo bald er dieſe und einige andere Kunſt hatte, war er vermoͤgend jedes Kli- ma der Erde auszudauren und in Beſitz zu nehmen. We- nige Thiere, faſt der Hund allein, haben ihm in alle Gegen- den nachfolgen koͤnnen; und doch mit welcher Veraͤnderung ihrer Geſtalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem- peramentes! Der Menſch allein hat ſich am wenigſten und in weſentlichen Theilen gar nicht veraͤndert. Man erſtaunt, wie ganz und einfoͤrmig ſich ſeine Natur erhalten, wenn man die Abaͤnderungen ſeiner wandernden Mitbruͤder unter den Thieren ſiehet. Seine zarte Natur iſt ſo beſtimmt, ſo voll-
kommen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0240"n="238[218]"/>
von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung<lb/>
liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieſer Theile und<lb/>
andre Umſtaͤnde eine Huͤlle fodern. Noch ehe der Menſch<lb/>
alſo ſeine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge-<lb/>
gen den Stich der Jnſekten durch Kleider oder Salben zu<lb/>ſchuͤtzen ſuchte, fuͤhrte ihn ihn eine Art <hirendition="#fr">ſinnlicher Oekono-<lb/>
mie</hi> des ſchnelleſten und nothwendigſten Triebes auf die Ver-<lb/>
huͤllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib geſu-<lb/>
chet ſeyn und bietet ſich nicht dar: ſie erfuͤllet damit unwiſſend<lb/>
Abſichten der Natur und bei den Menſchen iſt das zartere<lb/>
Weib auch die weiſe Bewahrerin der holdſeligen Schamm,<lb/>
die bei der aufrechten Geſtalt ſich gar bald entwickeln mußte —</p><lb/><p>Alſo bekam der Menſch Kleidung und ſo bald er dieſe<lb/>
und einige andere Kunſt hatte, war er vermoͤgend jedes Kli-<lb/>
ma der Erde auszudauren und in Beſitz zu nehmen. We-<lb/>
nige Thiere, faſt der Hund allein, haben ihm in alle Gegen-<lb/>
den nachfolgen koͤnnen; und doch mit welcher Veraͤnderung<lb/>
ihrer Geſtalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem-<lb/>
peramentes! Der Menſch allein hat ſich am wenigſten und<lb/>
in weſentlichen Theilen gar nicht veraͤndert. Man erſtaunt,<lb/>
wie ganz und einfoͤrmig ſich ſeine Natur erhalten, wenn man<lb/>
die Abaͤnderungen ſeiner wandernden Mitbruͤder unter den<lb/>
Thieren ſiehet. Seine zarte Natur iſt ſo beſtimmt, ſo voll-</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">kommen</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[238[218]/0240]
von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung
liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieſer Theile und
andre Umſtaͤnde eine Huͤlle fodern. Noch ehe der Menſch
alſo ſeine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge-
gen den Stich der Jnſekten durch Kleider oder Salben zu
ſchuͤtzen ſuchte, fuͤhrte ihn ihn eine Art ſinnlicher Oekono-
mie des ſchnelleſten und nothwendigſten Triebes auf die Ver-
huͤllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib geſu-
chet ſeyn und bietet ſich nicht dar: ſie erfuͤllet damit unwiſſend
Abſichten der Natur und bei den Menſchen iſt das zartere
Weib auch die weiſe Bewahrerin der holdſeligen Schamm,
die bei der aufrechten Geſtalt ſich gar bald entwickeln mußte —
Alſo bekam der Menſch Kleidung und ſo bald er dieſe
und einige andere Kunſt hatte, war er vermoͤgend jedes Kli-
ma der Erde auszudauren und in Beſitz zu nehmen. We-
nige Thiere, faſt der Hund allein, haben ihm in alle Gegen-
den nachfolgen koͤnnen; und doch mit welcher Veraͤnderung
ihrer Geſtalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem-
peramentes! Der Menſch allein hat ſich am wenigſten und
in weſentlichen Theilen gar nicht veraͤndert. Man erſtaunt,
wie ganz und einfoͤrmig ſich ſeine Natur erhalten, wenn man
die Abaͤnderungen ſeiner wandernden Mitbruͤder unter den
Thieren ſiehet. Seine zarte Natur iſt ſo beſtimmt, ſo voll-
kommen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 238[218]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/240>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.