Jm Stande der Wildheit wäre er großentheils insonderheit auf dem Rücken mit Haaren bedecket; und das wäre denn die Decke, über deren Entziehung der ältere Plinius die Na- tur so jammernd anklagt. Die wohlthätige Mutter hat dem Menschen eine schönere Hülle gegeben, seine zarte und doch so harte Haut, die den Unfällen jeder Jahrszeit, den Ab- wechselungen jedes Klima zu widerstehen vermag, wenn ei- nige Kunst, die diesem Geschöpf zweite Natur ist, Hülfe leistet.
Und zu dieser sollte ihm nicht nur die nackte Dürftigkeit sondern etwas Menschlicheres und Schöneres, die holde Schaam leiten. Was auch einige Philosophen sagen mö- gen: so ist sie dem Menschen, ja schon ein dunkles Analogon derselben einigen Thierarten, natürlich: denn auch die Aeffin be- decket sich und der Elephant suchet zur Begattung einsame dunkle Wälder. Wir kennen beinah keine noch so thierische Nation *) auf der Erde, die nicht zumal bei den Weibern
von
*) Mir sind nur zwei ganz nackte Nationen bekant, die aber auch in einer thierischen Wildheit leben, die Peschereis an der äussersten Spitze von Südamerika, ein Auswurf andrer Na- tionen und ein wildes Volk bei Arakan und Pegu, das mir in den dortigen Gegenden noch ein Räthsel ist, ob ichs gleich in einer der neusten Reisen Mackingtosh travels T. I. p. 341. Lond. 1782.) bestätigt finde.
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Jm Stande der Wildheit waͤre er großentheils inſonderheit auf dem Ruͤcken mit Haaren bedecket; und das waͤre denn die Decke, uͤber deren Entziehung der aͤltere Plinius die Na- tur ſo jammernd anklagt. Die wohlthaͤtige Mutter hat dem Menſchen eine ſchoͤnere Huͤlle gegeben, ſeine zarte und doch ſo harte Haut, die den Unfaͤllen jeder Jahrszeit, den Ab- wechſelungen jedes Klima zu widerſtehen vermag, wenn ei- nige Kunſt, die dieſem Geſchoͤpf zweite Natur iſt, Huͤlfe leiſtet.
Und zu dieſer ſollte ihm nicht nur die nackte Duͤrftigkeit ſondern etwas Menſchlicheres und Schoͤneres, die holde Schaam leiten. Was auch einige Philoſophen ſagen moͤ- gen: ſo iſt ſie dem Menſchen, ja ſchon ein dunkles Analogon derſelben einigen Thierarten, natuͤrlich: denn auch die Aeffin be- decket ſich und der Elephant ſuchet zur Begattung einſame dunkle Waͤlder. Wir kennen beinah keine noch ſo thieriſche Nation *) auf der Erde, die nicht zumal bei den Weibern
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*) Mir ſind nur zwei ganz nackte Nationen bekant, die aber auch in einer thieriſchen Wildheit leben, die Peſchereis an der aͤuſſerſten Spitze von Suͤdamerika, ein Auswurf andrer Na- tionen und ein wildes Volk bei Arakan und Pegu, das mir in den dortigen Gegenden noch ein Raͤthſel iſt, ob ichs gleich in einer der neuſten Reiſen Mackingtoſh travels T. I. p. 341. Lond. 1782.) beſtaͤtigt finde.
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Jm Stande der Wildheit waͤre er großentheils inſonderheit
auf dem Ruͤcken mit Haaren bedecket; und das waͤre denn
die Decke, uͤber deren Entziehung der aͤltere Plinius die Na-
tur ſo jammernd anklagt. Die wohlthaͤtige Mutter hat dem
Menſchen eine ſchoͤnere Huͤlle gegeben, ſeine zarte und doch
ſo harte Haut, die den Unfaͤllen jeder Jahrszeit, den Ab-
wechſelungen jedes Klima zu widerſtehen vermag, wenn ei-
nige Kunſt, die dieſem Geſchoͤpf zweite Natur iſt, Huͤlfe
leiſtet.
Und zu dieſer ſollte ihm nicht nur die nackte Duͤrftigkeit
ſondern etwas Menſchlicheres und Schoͤneres, die holde
Schaam leiten. Was auch einige Philoſophen ſagen moͤ-
gen: ſo iſt ſie dem Menſchen, ja ſchon ein dunkles Analogon
derſelben einigen Thierarten, natuͤrlich: denn auch die Aeffin be-
decket ſich und der Elephant ſuchet zur Begattung einſame
dunkle Waͤlder. Wir kennen beinah keine noch ſo thieriſche
Nation *) auf der Erde, die nicht zumal bei den Weibern
von
*) Mir ſind nur zwei ganz nackte Nationen bekant, die aber auch
in einer thieriſchen Wildheit leben, die Peſchereis an der
aͤuſſerſten Spitze von Suͤdamerika, ein Auswurf andrer Na-
tionen und ein wildes Volk bei Arakan und Pegu, das mir
in den dortigen Gegenden noch ein Raͤthſel iſt, ob ichs gleich
in einer der neuſten Reiſen Mackingtoſh travels T. I. p.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 237[217]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/239>, abgerufen am 16.07.2024.
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