Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Jn den kleinern Thieren, bei denen der Kreislauf
und die organische Wärme noch unvollkommen ist, findet
sich auch ein kleineres Gehirn und wenigere Nerven. Die
Natur hat ihnen, wie wir schon bemerkt haben, an innigem
oder fein verbreitetem Reiz ersetzt, was sie ihnen an Empfin-
dung versagen mußte: denn wahrscheinlich konnte der aus-
arbeitende Organismus dieser Geschöpfe ein größeres Gehirn
weder hervorbringen noch ertragen.

2. Jn den Thieren von wärmerm Blut wächst auch
die Masse des Gehirns in dem Verhältniß, wie ihre künstli-
chere Organisation wächset; zugleich treten hier aber auch
andre Rücksichten ein, die insonderheit das Verhältniß der
Nerven und Muskelkräfte gegen einander zu bestimmen schei-
net. Jn Raubthieren ist das Gehirn kleiner: bei ihnen
herrschen Muskelkräfte, und auch ihre Nerven sind großen-
theils Dienerinnen desselben und des thierischen Reizes.
Bei Grasfressenden ruhigen Thieren wird das Gehirn grös-
ser; obwohl es auch bei ihnen sich größtentheils noch in Ner-
ven der Sinne zu verbrauchen scheinet. Die Vögel haben
viel Gehirn: denn sie mußten in ihrem kältern Element wär-
meres Blut haben. Der Kreislauf ist auch zusammenge-
drängter in ihrem meistens kleineren Körper; und so füllet bei
dem verliebten Sperlinge das Gehirn den ganzen Kopf und
ist 1/6 vom Gewicht seines Körpers.


3. Bei
Y 3

1. Jn den kleinern Thieren, bei denen der Kreislauf
und die organiſche Waͤrme noch unvollkommen iſt, findet
ſich auch ein kleineres Gehirn und wenigere Nerven. Die
Natur hat ihnen, wie wir ſchon bemerkt haben, an innigem
oder fein verbreitetem Reiz erſetzt, was ſie ihnen an Empfin-
dung verſagen mußte: denn wahrſcheinlich konnte der aus-
arbeitende Organismus dieſer Geſchoͤpfe ein groͤßeres Gehirn
weder hervorbringen noch ertragen.

2. Jn den Thieren von waͤrmerm Blut waͤchſt auch
die Maſſe des Gehirns in dem Verhaͤltniß, wie ihre kuͤnſtli-
chere Organiſation waͤchſet; zugleich treten hier aber auch
andre Ruͤckſichten ein, die inſonderheit das Verhaͤltniß der
Nerven und Muskelkraͤfte gegen einander zu beſtimmen ſchei-
net. Jn Raubthieren iſt das Gehirn kleiner: bei ihnen
herrſchen Muskelkraͤfte, und auch ihre Nerven ſind großen-
theils Dienerinnen deſſelben und des thieriſchen Reizes.
Bei Grasfreſſenden ruhigen Thieren wird das Gehirn groͤſ-
ſer; obwohl es auch bei ihnen ſich groͤßtentheils noch in Ner-
ven der Sinne zu verbrauchen ſcheinet. Die Voͤgel haben
viel Gehirn: denn ſie mußten in ihrem kaͤltern Element waͤr-
meres Blut haben. Der Kreislauf iſt auch zuſammenge-
draͤngter in ihrem meiſtens kleineren Koͤrper; und ſo fuͤllet bei
dem verliebten Sperlinge das Gehirn den ganzen Kopf und
iſt ⅙ vom Gewicht ſeines Koͤrpers.


3. Bei
Y 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0195" n="193[173]"/>
          <p>1. Jn den kleinern Thieren, bei denen der Kreislauf<lb/>
und die organi&#x017F;che Wa&#x0364;rme noch unvollkommen i&#x017F;t, findet<lb/>
&#x017F;ich auch ein kleineres Gehirn und wenigere Nerven. Die<lb/>
Natur hat ihnen, wie wir &#x017F;chon bemerkt haben, an innigem<lb/>
oder fein verbreitetem Reiz er&#x017F;etzt, was &#x017F;ie ihnen an Empfin-<lb/>
dung ver&#x017F;agen mußte: denn wahr&#x017F;cheinlich konnte der aus-<lb/>
arbeitende Organismus die&#x017F;er Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe ein gro&#x0364;ßeres Gehirn<lb/>
weder hervorbringen noch ertragen.</p><lb/>
          <p>2. Jn den Thieren von wa&#x0364;rmerm Blut wa&#x0364;ch&#x017F;t auch<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;e des Gehirns in dem Verha&#x0364;ltniß, wie ihre ku&#x0364;n&#x017F;tli-<lb/>
chere Organi&#x017F;ation wa&#x0364;ch&#x017F;et; zugleich treten hier aber auch<lb/>
andre Ru&#x0364;ck&#x017F;ichten ein, die in&#x017F;onderheit das Verha&#x0364;ltniß der<lb/>
Nerven und Muskelkra&#x0364;fte gegen einander zu be&#x017F;timmen &#x017F;chei-<lb/>
net. Jn Raubthieren i&#x017F;t das Gehirn kleiner: bei ihnen<lb/>
herr&#x017F;chen Muskelkra&#x0364;fte, und auch ihre Nerven &#x017F;ind großen-<lb/>
theils Dienerinnen de&#x017F;&#x017F;elben und des thieri&#x017F;chen Reizes.<lb/>
Bei Grasfre&#x017F;&#x017F;enden ruhigen Thieren wird das Gehirn gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er; obwohl es auch bei ihnen &#x017F;ich gro&#x0364;ßtentheils noch in Ner-<lb/>
ven der Sinne zu verbrauchen &#x017F;cheinet. Die Vo&#x0364;gel haben<lb/>
viel Gehirn: denn &#x017F;ie mußten in ihrem ka&#x0364;ltern Element wa&#x0364;r-<lb/>
meres Blut haben. Der Kreislauf i&#x017F;t auch zu&#x017F;ammenge-<lb/>
dra&#x0364;ngter in ihrem mei&#x017F;tens kleineren Ko&#x0364;rper; und &#x017F;o fu&#x0364;llet bei<lb/>
dem verliebten Sperlinge das Gehirn den ganzen Kopf und<lb/>
i&#x017F;t &#x2159; vom Gewicht &#x017F;eines Ko&#x0364;rpers.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Y 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">3. Bei</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193[173]/0195] 1. Jn den kleinern Thieren, bei denen der Kreislauf und die organiſche Waͤrme noch unvollkommen iſt, findet ſich auch ein kleineres Gehirn und wenigere Nerven. Die Natur hat ihnen, wie wir ſchon bemerkt haben, an innigem oder fein verbreitetem Reiz erſetzt, was ſie ihnen an Empfin- dung verſagen mußte: denn wahrſcheinlich konnte der aus- arbeitende Organismus dieſer Geſchoͤpfe ein groͤßeres Gehirn weder hervorbringen noch ertragen. 2. Jn den Thieren von waͤrmerm Blut waͤchſt auch die Maſſe des Gehirns in dem Verhaͤltniß, wie ihre kuͤnſtli- chere Organiſation waͤchſet; zugleich treten hier aber auch andre Ruͤckſichten ein, die inſonderheit das Verhaͤltniß der Nerven und Muskelkraͤfte gegen einander zu beſtimmen ſchei- net. Jn Raubthieren iſt das Gehirn kleiner: bei ihnen herrſchen Muskelkraͤfte, und auch ihre Nerven ſind großen- theils Dienerinnen deſſelben und des thieriſchen Reizes. Bei Grasfreſſenden ruhigen Thieren wird das Gehirn groͤſ- ſer; obwohl es auch bei ihnen ſich groͤßtentheils noch in Ner- ven der Sinne zu verbrauchen ſcheinet. Die Voͤgel haben viel Gehirn: denn ſie mußten in ihrem kaͤltern Element waͤr- meres Blut haben. Der Kreislauf iſt auch zuſammenge- draͤngter in ihrem meiſtens kleineren Koͤrper; und ſo fuͤllet bei dem verliebten Sperlinge das Gehirn den ganzen Kopf und iſt ⅙ vom Gewicht ſeines Koͤrpers. 3. Bei Y 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/195
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 193[173]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/195>, abgerufen am 23.11.2024.