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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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chem alle Radien zusammen zu laufen scheinen. Als die
bildende Mutter ihre Werke vollbracht und alle Formen er-
schöpft hatte, die auf dieser Erde möglich waren, stand sie
still und übersann ihre Werke; und als sie sah, daß bei ih-
nen allen der Erde noch ihre vornehmste Zierde, ihr Regent
und zweiter Schöpfer fehlte: siehe da gieng sie mit sich zu
Rath, drängte die Gestalten zusammen und formte aus allen
ihr Hauptgebilde, die menschliche Schönheit. Mütterlich
bot sie ihrem letzten künstlichen Geschöpf die Hand und
sprach: "steh auf von der Erde! Dir selbst überlassen, wä-
rest du Thier wie andre Thiere; aber durch meine besondre
Huld und Liebe gehe aufrecht und werde der Gott der
Thiere." Lasset uns bei diesem heiligen Kunstwerk, der
Wohlthat, durch die unser Geschlecht ein Menschengeschlecht
ward, mit dankbarem Blick verweilen; mit Verwundrung
werden wir sehen, welche neue Organisation von Kräften in
der aufrechten Gestalt der Menschheit anfange und wie allein
durch sie der Mensch ein Mensch ward.




Vier-

chem alle Radien zuſammen zu laufen ſcheinen. Als die
bildende Mutter ihre Werke vollbracht und alle Formen er-
ſchoͤpft hatte, die auf dieſer Erde moͤglich waren, ſtand ſie
ſtill und uͤberſann ihre Werke; und als ſie ſah, daß bei ih-
nen allen der Erde noch ihre vornehmſte Zierde, ihr Regent
und zweiter Schoͤpfer fehlte: ſiehe da gieng ſie mit ſich zu
Rath, draͤngte die Geſtalten zuſammen und formte aus allen
ihr Hauptgebilde, die menſchliche Schoͤnheit. Muͤtterlich
bot ſie ihrem letzten kuͤnſtlichen Geſchoͤpf die Hand und
ſprach: „ſteh auf von der Erde! Dir ſelbſt uͤberlaſſen, waͤ-
reſt du Thier wie andre Thiere; aber durch meine beſondre
Huld und Liebe gehe aufrecht und werde der Gott der
Thiere.„ Laſſet uns bei dieſem heiligen Kunſtwerk, der
Wohlthat, durch die unſer Geſchlecht ein Menſchengeſchlecht
ward, mit dankbarem Blick verweilen; mit Verwundrung
werden wir ſehen, welche neue Organiſation von Kraͤften in
der aufrechten Geſtalt der Menſchheit anfange und wie allein
durch ſie der Menſch ein Menſch ward.




Vier-
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[180[160]/0182] chem alle Radien zuſammen zu laufen ſcheinen. Als die bildende Mutter ihre Werke vollbracht und alle Formen er- ſchoͤpft hatte, die auf dieſer Erde moͤglich waren, ſtand ſie ſtill und uͤberſann ihre Werke; und als ſie ſah, daß bei ih- nen allen der Erde noch ihre vornehmſte Zierde, ihr Regent und zweiter Schoͤpfer fehlte: ſiehe da gieng ſie mit ſich zu Rath, draͤngte die Geſtalten zuſammen und formte aus allen ihr Hauptgebilde, die menſchliche Schoͤnheit. Muͤtterlich bot ſie ihrem letzten kuͤnſtlichen Geſchoͤpf die Hand und ſprach: „ſteh auf von der Erde! Dir ſelbſt uͤberlaſſen, waͤ- reſt du Thier wie andre Thiere; aber durch meine beſondre Huld und Liebe gehe aufrecht und werde der Gott der Thiere.„ Laſſet uns bei dieſem heiligen Kunſtwerk, der Wohlthat, durch die unſer Geſchlecht ein Menſchengeſchlecht ward, mit dankbarem Blick verweilen; mit Verwundrung werden wir ſehen, welche neue Organiſation von Kraͤften in der aufrechten Geſtalt der Menſchheit anfange und wie allein durch ſie der Menſch ein Menſch ward. Vier-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 180[160]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/182>, abgerufen am 22.11.2024.