Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.Erste, ganz Verschiedne zeigt die Urkraft Shakespear fand keinen Chor vor sich; son
Erſte, ganz Verſchiedne zeigt die Urkraft Shakeſpear fand keinen Chor vor ſich; ſon
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0095" n="91"/> Erſte, ganz Verſchiedne zeigt die Urkraft<lb/> ſeines Berufs.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Shakeſpear</hi> fand keinen Chor vor ſich;<lb/> aber wohl Staats und Marionettenſpiele —<lb/> wohl! er bildete alſo aus dieſen Staats- und<lb/> Marionettenſpielen, dem ſo ſchlechten Leim!<lb/> das herrliche Geſchoͤpf, das da vor uns ſteht<lb/> und lebt! Er fand keinen ſo einfachen Volks-<lb/> und Vaterlandscharakter, ſondern ein Viel-<lb/> faches von Staͤnden, Lebensarten, Geſin-<lb/> nungen, Voͤlkern und Spracharten — der<lb/> Gram um das Vorige waͤre vergebens ge-<lb/> weſen; er dichtete alſo Staͤnde und Men-<lb/> ſchen, Voͤlker und Spracharten, Koͤnig und<lb/> Narren, Narren und Koͤnig zu dem herrli-<lb/> chen Ganzen! Er fand keinen ſo einfachen<lb/> Geiſt der Geſchichte, der Fabel, der Hand-<lb/> lung: er nahm Geſchichte, wie er ſie fand,<lb/> und ſetzte mit Schoͤpfergeiſt das Verſchieden-<lb/> artigſte Zeug zu einem Wunderganzen zuſam-<lb/> men, was wir, wenn nicht <hi rendition="#fr">Handlung</hi> im<lb/> griechiſchen Verſtande, ſo <hi rendition="#fr">Aktion</hi> im Sinne<lb/> der mittlern, oder in der Sprache der neuern<lb/> Zeiten <hi rendition="#fr">Begebenheit</hi> (<hi rendition="#aq">evenement</hi>) groſſes<lb/><hi rendition="#fr">Eraͤugniß</hi> nennen wollen — o Ariſtoteles,<lb/> wenn du erſchieneſt, wie wuͤrdeſt du den neuen<lb/> Sophokles homeriſiren! wuͤrdeſt ſo eine eigne<lb/> Theorie uͤber ihn dichten, die jetzt ſeine Lands-<lb/> leute, <hi rendition="#fr">Home</hi> und <hi rendition="#fr">Hurd, Pope</hi> und <hi rendition="#fr">John-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ſon</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0095]
Erſte, ganz Verſchiedne zeigt die Urkraft
ſeines Berufs.
Shakeſpear fand keinen Chor vor ſich;
aber wohl Staats und Marionettenſpiele —
wohl! er bildete alſo aus dieſen Staats- und
Marionettenſpielen, dem ſo ſchlechten Leim!
das herrliche Geſchoͤpf, das da vor uns ſteht
und lebt! Er fand keinen ſo einfachen Volks-
und Vaterlandscharakter, ſondern ein Viel-
faches von Staͤnden, Lebensarten, Geſin-
nungen, Voͤlkern und Spracharten — der
Gram um das Vorige waͤre vergebens ge-
weſen; er dichtete alſo Staͤnde und Men-
ſchen, Voͤlker und Spracharten, Koͤnig und
Narren, Narren und Koͤnig zu dem herrli-
chen Ganzen! Er fand keinen ſo einfachen
Geiſt der Geſchichte, der Fabel, der Hand-
lung: er nahm Geſchichte, wie er ſie fand,
und ſetzte mit Schoͤpfergeiſt das Verſchieden-
artigſte Zeug zu einem Wunderganzen zuſam-
men, was wir, wenn nicht Handlung im
griechiſchen Verſtande, ſo Aktion im Sinne
der mittlern, oder in der Sprache der neuern
Zeiten Begebenheit (evenement) groſſes
Eraͤugniß nennen wollen — o Ariſtoteles,
wenn du erſchieneſt, wie wuͤrdeſt du den neuen
Sophokles homeriſiren! wuͤrdeſt ſo eine eigne
Theorie uͤber ihn dichten, die jetzt ſeine Lands-
leute, Home und Hurd, Pope und John-
ſon
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |