bey diesem Volk dramatischen Zweck erreicht. Man sieht, wir sind bey den toto divisis ab orbe Britannis und ihrem grossen Shakespear.
Daß da, und zu der und vor der Zeit kein Griechenland war, wird kein pullulus Aristo- telis läugnen, und hier und da also griechisches Drama zu fodern, daß es natürlich (wir reden von keiner Nachäffung) entstehe, ist ärger, als daß ein Schaaf Löwen gebären solle. Es wird allein erste und letzte Frage: "wie ist der Boden? worauf ist er zubereitet? "was ist in ihn gesäet? was sollte er tragen "können?" -- und Himmel! wie weit hier von Griechenland weg! Geschichte, Tradi- tion, Sitten, Religion, Geist der Zeit, des Volks, der Rührung, der Sprache -- wie weit von Griechenland weg! Der Leser kenne beyde Zeiten viel oder wenig, so wird er doch kei- nen Augenblick verwechseln, was nichts Aehnli- ches hat. Und wenn nun in dieser glücklich oder unglücklich veränderten Zeit, es eben Ein Alter, Ein Genie gäbe, daß aus seinem Stoff so natürlich, groß, und original eine drama- tische Schöpfung zöge, als die Griechen aus dem Jhren -- und diese Schöpfung eben auf den verschiedensten Wegen dieselbe Absicht erreichte, wenigstens an sich ein weit vielfach Einfältiger und Einfachvielfältiger -- also
(nach
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bey dieſem Volk dramatiſchen Zweck erreicht. Man ſieht, wir ſind bey den toto diviſis ab orbe Britannis und ihrem groſſen Shakeſpear.
Daß da, und zu der und vor der Zeit kein Griechenland war, wird kein pullulus Ariſto- telis laͤugnen, und hier und da alſo griechiſches Drama zu fodern, daß es natuͤrlich (wir reden von keiner Nachaͤffung) entſtehe, iſt aͤrger, als daß ein Schaaf Loͤwen gebaͤren ſolle. Es wird allein erſte und letzte Frage: „wie iſt der Boden? worauf iſt er zubereitet? „was iſt in ihn geſaͤet? was ſollte er tragen „koͤnnen?„ — und Himmel! wie weit hier von Griechenland weg! Geſchichte, Tradi- tion, Sitten, Religion, Geiſt der Zeit, des Volks, der Ruͤhrung, der Sprache — wie weit von Griechenland weg! Der Leſer kenne beyde Zeiten viel oder wenig, ſo wird er doch kei- nen Augenblick verwechſeln, was nichts Aehnli- ches hat. Und wenn nun in dieſer gluͤcklich oder ungluͤcklich veraͤnderten Zeit, es eben Ein Alter, Ein Genie gaͤbe, daß aus ſeinem Stoff ſo natuͤrlich, groß, und original eine drama- tiſche Schoͤpfung zoͤge, als die Griechen aus dem Jhren — und dieſe Schoͤpfung eben auf den verſchiedenſten Wegen dieſelbe Abſicht erreichte, wenigſtens an ſich ein weit vielfach Einfaͤltiger und Einfachvielfaͤltiger — alſo
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bey dieſem Volk dramatiſchen Zweck erreicht.
Man ſieht, wir ſind bey den
toto diviſis ab orbe Britannis
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Daß da, und zu der und vor der Zeit kein
Griechenland war, wird kein pullulus Ariſto-
telis laͤugnen, und hier und da alſo griechiſches
Drama zu fodern, daß es natuͤrlich (wir
reden von keiner Nachaͤffung) entſtehe, iſt
aͤrger, als daß ein Schaaf Loͤwen gebaͤren
ſolle. Es wird allein erſte und letzte Frage:
„wie iſt der Boden? worauf iſt er zubereitet?
„was iſt in ihn geſaͤet? was ſollte er tragen
„koͤnnen?„ — und Himmel! wie weit hier
von Griechenland weg! Geſchichte, Tradi-
tion, Sitten, Religion, Geiſt der Zeit, des
Volks, der Ruͤhrung, der Sprache — wie
weit von Griechenland weg! Der Leſer kenne
beyde Zeiten viel oder wenig, ſo wird er doch kei-
nen Augenblick verwechſeln, was nichts Aehnli-
ches hat. Und wenn nun in dieſer gluͤcklich oder
ungluͤcklich veraͤnderten Zeit, es eben Ein
Alter, Ein Genie gaͤbe, daß aus ſeinem Stoff
ſo natuͤrlich, groß, und original eine drama-
tiſche Schoͤpfung zoͤge, als die Griechen aus
dem Jhren — und dieſe Schoͤpfung eben auf
den verſchiedenſten Wegen dieſelbe Abſicht
erreichte, wenigſtens an ſich ein weit vielfach
Einfaͤltiger und Einfachvielfaͤltiger — alſo
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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/93>, abgerufen am 28.07.2024.
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