Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

des Brettergerüstes, u. s. w. sondern würk-
lich fragen, ob über das gleissende, klassische
Ding, was die Korneille, Racine und
Voltaire gegeben haben, über die Reihe
fchöner Auftritte, Gespräche, Verse und
Reime, mit der Abmessung, dem Wohl-
stande,
dem Glanze -- etwas in der Welt
möglich sey? Der Verfasser dieses Aufsatzes
zweifelt nicht bloß daran, sondern alle Ver-
ehrer Voltairs und der Franzosen, zumal
diese edlen Athenienser selbst, werden es ge-
radezu läugnen -- habens ja auch schon
gnug gethan, thuns und werdens thun, "über
das geht nichts! das kann nicht übertroffen
werden!" Und in den Gesichtspunkt des
Uebereinkommnisses gestellt, die Puppe aufs
Bretterngerüste gesetzt -- haben sie recht,
und müssens von Tag zu Tage je mehr man
sich in das Gleissende vernarrt, und es nach-
äffet, in allen Ländern Europens mehr be-
kommen!

Bey alle dem ists aber doch ein drückendes
unwiderstrebliches Gefühl "das ist keine grie-
chische Tragödie! von Zweck, Würkung, | Art,
Wesen kein griechisches Drama!" und der
partheyischte Verehrer der Franzosen kann,
wenn er Griechen gefühlt hat, das nicht läug-
nen. Jch wills gar nicht Einmal untersuchen
"ob sie auch ihren Aristoteles den Regeln nach

so
F 2

des Brettergeruͤſtes, u. ſ. w. ſondern wuͤrk-
lich fragen, ob uͤber das gleiſſende, klaſſiſche
Ding, was die Korneille, Racine und
Voltaire gegeben haben, uͤber die Reihe
fchoͤner Auftritte, Geſpraͤche, Verſe und
Reime, mit der Abmeſſung, dem Wohl-
ſtande,
dem Glanze — etwas in der Welt
moͤglich ſey? Der Verfaſſer dieſes Aufſatzes
zweifelt nicht bloß daran, ſondern alle Ver-
ehrer Voltairs und der Franzoſen, zumal
dieſe edlen Athenienſer ſelbſt, werden es ge-
radezu laͤugnen — habens ja auch ſchon
gnug gethan, thuns und werdens thun, „uͤber
das geht nichts! das kann nicht uͤbertroffen
werden!‟ Und in den Geſichtspunkt des
Uebereinkommniſſes geſtellt, die Puppe aufs
Bretterngeruͤſte geſetzt — haben ſie recht,
und muͤſſens von Tag zu Tage je mehr man
ſich in das Gleiſſende vernarrt, und es nach-
aͤffet, in allen Laͤndern Europens mehr be-
kommen!

Bey alle dem iſts aber doch ein druͤckendes
unwiderſtrebliches Gefuͤhl „das iſt keine grie-
chiſche Tragoͤdie! von Zweck, Wuͤrkung, | Art,
Weſen kein griechiſches Drama!‟ und der
partheyiſchte Verehrer der Franzoſen kann,
wenn er Griechen gefuͤhlt hat, das nicht laͤug-
nen. Jch wills gar nicht Einmal unterſuchen
„ob ſie auch ihren Ariſtoteles den Regeln nach

ſo
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="83"/><hi rendition="#fr">des Brettergeru&#x0364;&#x017F;tes,</hi> u. &#x017F;. w. &#x017F;ondern wu&#x0364;rk-<lb/>
lich fragen, ob u&#x0364;ber das glei&#x017F;&#x017F;ende, kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Ding, was die <hi rendition="#fr">Korneille, Racine</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Voltaire</hi> gegeben haben, u&#x0364;ber die Reihe<lb/>
fcho&#x0364;ner <hi rendition="#fr">Auftritte, Ge&#x017F;pra&#x0364;che, Ver&#x017F;e</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Reime,</hi> mit der <hi rendition="#fr">Abme&#x017F;&#x017F;ung,</hi> dem <hi rendition="#fr">Wohl-<lb/>
&#x017F;tande,</hi> dem <hi rendition="#fr">Glanze</hi> &#x2014; etwas in der Welt<lb/>
mo&#x0364;glich &#x017F;ey? Der Verfa&#x017F;&#x017F;er die&#x017F;es Auf&#x017F;atzes<lb/>
zweifelt nicht bloß daran, &#x017F;ondern alle Ver-<lb/>
ehrer <hi rendition="#fr">Voltairs</hi> und der Franzo&#x017F;en, zumal<lb/>
die&#x017F;e edlen Athenien&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t, werden es ge-<lb/>
radezu <hi rendition="#fr">la&#x0364;ugnen</hi> &#x2014; habens ja auch &#x017F;chon<lb/>
gnug gethan, thuns und werdens thun, &#x201E;u&#x0364;ber<lb/>
das geht nichts! das kann nicht u&#x0364;bertroffen<lb/>
werden!&#x201F; Und in den Ge&#x017F;ichtspunkt des<lb/>
Uebereinkommni&#x017F;&#x017F;es ge&#x017F;tellt, die Puppe aufs<lb/>
Bretterngeru&#x0364;&#x017F;te ge&#x017F;etzt &#x2014; haben &#x017F;ie recht,<lb/>
und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ens von Tag zu Tage je mehr man<lb/>
&#x017F;ich in das Glei&#x017F;&#x017F;ende vernarrt, und es nach-<lb/>
a&#x0364;ffet, in allen La&#x0364;ndern Europens mehr be-<lb/>
kommen!</p><lb/>
          <p>Bey alle dem i&#x017F;ts aber doch ein dru&#x0364;ckendes<lb/>
unwider&#x017F;trebliches Gefu&#x0364;hl &#x201E;das i&#x017F;t keine grie-<lb/>
chi&#x017F;che Trago&#x0364;die! von Zweck, Wu&#x0364;rkung, | Art,<lb/>
We&#x017F;en kein griechi&#x017F;ches Drama!&#x201F; und der<lb/>
partheyi&#x017F;chte Verehrer der Franzo&#x017F;en kann,<lb/>
wenn er Griechen gefu&#x0364;hlt hat, das nicht la&#x0364;ug-<lb/>
nen. Jch wills gar nicht Einmal unter&#x017F;uchen<lb/>
&#x201E;ob &#x017F;ie auch ihren Ari&#x017F;toteles den Regeln nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0087] des Brettergeruͤſtes, u. ſ. w. ſondern wuͤrk- lich fragen, ob uͤber das gleiſſende, klaſſiſche Ding, was die Korneille, Racine und Voltaire gegeben haben, uͤber die Reihe fchoͤner Auftritte, Geſpraͤche, Verſe und Reime, mit der Abmeſſung, dem Wohl- ſtande, dem Glanze — etwas in der Welt moͤglich ſey? Der Verfaſſer dieſes Aufſatzes zweifelt nicht bloß daran, ſondern alle Ver- ehrer Voltairs und der Franzoſen, zumal dieſe edlen Athenienſer ſelbſt, werden es ge- radezu laͤugnen — habens ja auch ſchon gnug gethan, thuns und werdens thun, „uͤber das geht nichts! das kann nicht uͤbertroffen werden!‟ Und in den Geſichtspunkt des Uebereinkommniſſes geſtellt, die Puppe aufs Bretterngeruͤſte geſetzt — haben ſie recht, und muͤſſens von Tag zu Tage je mehr man ſich in das Gleiſſende vernarrt, und es nach- aͤffet, in allen Laͤndern Europens mehr be- kommen! Bey alle dem iſts aber doch ein druͤckendes unwiderſtrebliches Gefuͤhl „das iſt keine grie- chiſche Tragoͤdie! von Zweck, Wuͤrkung, | Art, Weſen kein griechiſches Drama!‟ und der partheyiſchte Verehrer der Franzoſen kann, wenn er Griechen gefuͤhlt hat, das nicht laͤug- nen. Jch wills gar nicht Einmal unterſuchen „ob ſie auch ihren Ariſtoteles den Regeln nach ſo F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/87
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/87>, abgerufen am 08.05.2024.