Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Man kann es sogar unter der Erde an der Linie ken-
nen, womit es einen reinen Erzgang verfolgt und
sich zuwühlt. Der Geschichtschreiber wird dieses
fühlen, und allemal so viel von der Geschichte der
Künste und Wissenschaften mitnehmen, als er ge-
braucht, von den Veränderungen der Staatsmo-
den Rechenschaft zu geben.

Zur Geschichte des westphälischen Friedens ge-
hört eine grosse Kenntniß der Grundsätze, welche
seine Verfasser hegten. Man wird von einer spä-
tern Wendung in den öffentlichen Handlungen kei-
ne Rechenschaft geben können, ohne einen Thoma-
sius zu nennen; und ohne zu wissen, wie unvorsich-
tig er seine Zeiten zum Raisonniren |geführet habe.
Der Stil des letztern Krieges ist daran kenntbar,
daß alle Partheyen sich wenig auf den Grotius be-
rufen, sondern sich immer an eine bequeme Philo-
sophie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt
herrschte, gehalten haben. Die neue Wendung,
welche ein Strube der deutschen Denkungsart da-
durch giebt, daß er wie Grotius Geschichtskunde,
Gelehrsamkeit und Philosophie mächtig verknüpft,
ist auch an verschiedenen Staatshandlungen merk-
lich. Das öffentliche Vertrauen der Höfe beruhet
auf solchen Grundsätzen und solchen Männern, und
ihr Name mag wohl mit den größten Feldherren ge-
nannt werden. Brechen endlich Religionsmeynun-
gen in bürgerliche Kriege aus: so wird ihre Ge-
schichte dem Staate vollends erheblich. Die Eigen-
liebe opfert Ehre und Eigenthum für ihre Rechtha-
bung auf. Der Sieger gewinnt allezeit zu viel; er
fesselt, wie in Frankreich, zuletzt Katholiken und
Reformirte an seinen Wagen .... Aber wehe
dem Geschichtsschreiber, dem sich dergleichen Ein-
mischungen nicht in die Hände drängen; und bey
dem sie nicht das Resultat wohlgenährter Kräfte
sind!



Man kann es ſogar unter der Erde an der Linie ken-
nen, womit es einen reinen Erzgang verfolgt und
ſich zuwuͤhlt. Der Geſchichtſchreiber wird dieſes
fuͤhlen, und allemal ſo viel von der Geſchichte der
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften mitnehmen, als er ge-
braucht, von den Veraͤnderungen der Staatsmo-
den Rechenſchaft zu geben.

Zur Geſchichte des weſtphaͤliſchen Friedens ge-
hoͤrt eine groſſe Kenntniß der Grundſaͤtze, welche
ſeine Verfaſſer hegten. Man wird von einer ſpaͤ-
tern Wendung in den oͤffentlichen Handlungen kei-
ne Rechenſchaft geben koͤnnen, ohne einen Thoma-
ſius zu nennen; und ohne zu wiſſen, wie unvorſich-
tig er ſeine Zeiten zum Raiſonniren |gefuͤhret habe.
Der Stil des letztern Krieges iſt daran kenntbar,
daß alle Partheyen ſich wenig auf den Grotius be-
rufen, ſondern ſich immer an eine bequeme Philo-
ſophie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt
herrſchte, gehalten haben. Die neue Wendung,
welche ein Strube der deutſchen Denkungsart da-
durch giebt, daß er wie Grotius Geſchichtskunde,
Gelehrſamkeit und Philoſophie maͤchtig verknuͤpft,
iſt auch an verſchiedenen Staatshandlungen merk-
lich. Das oͤffentliche Vertrauen der Hoͤfe beruhet
auf ſolchen Grundſaͤtzen und ſolchen Maͤnnern, und
ihr Name mag wohl mit den groͤßten Feldherren ge-
nannt werden. Brechen endlich Religionsmeynun-
gen in buͤrgerliche Kriege aus: ſo wird ihre Ge-
ſchichte dem Staate vollends erheblich. Die Eigen-
liebe opfert Ehre und Eigenthum fuͤr ihre Rechtha-
bung auf. Der Sieger gewinnt allezeit zu viel; er
feſſelt, wie in Frankreich, zuletzt Katholiken und
Reformirte an ſeinen Wagen .... Aber wehe
dem Geſchichtsſchreiber, dem ſich dergleichen Ein-
miſchungen nicht in die Haͤnde draͤngen; und bey
dem ſie nicht das Reſultat wohlgenaͤhrter Kraͤfte
ſind!



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="182"/>
Man kann es &#x017F;ogar unter der Erde an der Linie ken-<lb/>
nen, womit es einen reinen Erzgang verfolgt und<lb/>
&#x017F;ich zuwu&#x0364;hlt. Der Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber wird die&#x017F;es<lb/>
fu&#x0364;hlen, und allemal &#x017F;o viel von der Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften mitnehmen, als er ge-<lb/>
braucht, von den Vera&#x0364;nderungen der Staatsmo-<lb/>
den Rechen&#x017F;chaft zu geben.</p><lb/>
          <p>Zur Ge&#x017F;chichte des we&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;chen Friedens ge-<lb/>
ho&#x0364;rt eine gro&#x017F;&#x017F;e Kenntniß der Grund&#x017F;a&#x0364;tze, welche<lb/>
&#x017F;eine Verfa&#x017F;&#x017F;er hegten. Man wird von einer &#x017F;pa&#x0364;-<lb/>
tern Wendung in den o&#x0364;ffentlichen Handlungen kei-<lb/>
ne Rechen&#x017F;chaft geben ko&#x0364;nnen, ohne einen Thoma-<lb/>
&#x017F;ius zu nennen; und ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en, wie unvor&#x017F;ich-<lb/>
tig er &#x017F;eine Zeiten zum Rai&#x017F;onniren |gefu&#x0364;hret habe.<lb/>
Der Stil des letztern Krieges i&#x017F;t daran kenntbar,<lb/>
daß alle Partheyen &#x017F;ich wenig auf den Grotius be-<lb/>
rufen, &#x017F;ondern &#x017F;ich immer an eine bequeme Philo-<lb/>
&#x017F;ophie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt<lb/>
herr&#x017F;chte, gehalten haben. Die neue Wendung,<lb/>
welche ein <hi rendition="#fr">Strube</hi> der deut&#x017F;chen Denkungsart da-<lb/>
durch giebt, daß er wie Grotius Ge&#x017F;chichtskunde,<lb/>
Gelehr&#x017F;amkeit und Philo&#x017F;ophie ma&#x0364;chtig verknu&#x0364;pft,<lb/>
i&#x017F;t auch an ver&#x017F;chiedenen Staatshandlungen merk-<lb/>
lich. Das o&#x0364;ffentliche Vertrauen der Ho&#x0364;fe beruhet<lb/>
auf &#x017F;olchen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen und &#x017F;olchen Ma&#x0364;nnern, und<lb/>
ihr Name mag wohl mit den gro&#x0364;ßten Feldherren ge-<lb/>
nannt werden. Brechen endlich Religionsmeynun-<lb/>
gen in bu&#x0364;rgerliche Kriege aus: &#x017F;o wird ihre Ge-<lb/>
&#x017F;chichte dem Staate vollends erheblich. Die Eigen-<lb/>
liebe opfert Ehre und Eigenthum fu&#x0364;r ihre Rechtha-<lb/>
bung auf. Der Sieger gewinnt allezeit zu viel; er<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;elt, wie in Frankreich, zuletzt Katholiken und<lb/>
Reformirte an &#x017F;einen Wagen .... Aber wehe<lb/>
dem Ge&#x017F;chichts&#x017F;chreiber, dem &#x017F;ich dergleichen Ein-<lb/>
mi&#x017F;chungen nicht in die Ha&#x0364;nde dra&#x0364;ngen; und bey<lb/>
dem &#x017F;ie nicht das Re&#x017F;ultat wohlgena&#x0364;hrter Kra&#x0364;fte<lb/>
&#x017F;ind!</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0186] Man kann es ſogar unter der Erde an der Linie ken- nen, womit es einen reinen Erzgang verfolgt und ſich zuwuͤhlt. Der Geſchichtſchreiber wird dieſes fuͤhlen, und allemal ſo viel von der Geſchichte der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften mitnehmen, als er ge- braucht, von den Veraͤnderungen der Staatsmo- den Rechenſchaft zu geben. Zur Geſchichte des weſtphaͤliſchen Friedens ge- hoͤrt eine groſſe Kenntniß der Grundſaͤtze, welche ſeine Verfaſſer hegten. Man wird von einer ſpaͤ- tern Wendung in den oͤffentlichen Handlungen kei- ne Rechenſchaft geben koͤnnen, ohne einen Thoma- ſius zu nennen; und ohne zu wiſſen, wie unvorſich- tig er ſeine Zeiten zum Raiſonniren |gefuͤhret habe. Der Stil des letztern Krieges iſt daran kenntbar, daß alle Partheyen ſich wenig auf den Grotius be- rufen, ſondern ſich immer an eine bequeme Philo- ſophie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt herrſchte, gehalten haben. Die neue Wendung, welche ein Strube der deutſchen Denkungsart da- durch giebt, daß er wie Grotius Geſchichtskunde, Gelehrſamkeit und Philoſophie maͤchtig verknuͤpft, iſt auch an verſchiedenen Staatshandlungen merk- lich. Das oͤffentliche Vertrauen der Hoͤfe beruhet auf ſolchen Grundſaͤtzen und ſolchen Maͤnnern, und ihr Name mag wohl mit den groͤßten Feldherren ge- nannt werden. Brechen endlich Religionsmeynun- gen in buͤrgerliche Kriege aus: ſo wird ihre Ge- ſchichte dem Staate vollends erheblich. Die Eigen- liebe opfert Ehre und Eigenthum fuͤr ihre Rechtha- bung auf. Der Sieger gewinnt allezeit zu viel; er feſſelt, wie in Frankreich, zuletzt Katholiken und Reformirte an ſeinen Wagen .... Aber wehe dem Geſchichtsſchreiber, dem ſich dergleichen Ein- miſchungen nicht in die Haͤnde draͤngen; und bey dem ſie nicht das Reſultat wohlgenaͤhrter Kraͤfte ſind!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/186
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/186>, abgerufen am 07.05.2024.