Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

wäre, so müßte der Schwerpunkt des Bogens
steigen, im entgegen gesetzten Falle aber sich
senken, und es wäre also im zweiten Falle viel
weniger Kraft nöthig als im ersten. Wenn
man nun diese zwote Hypothese zum Grunde
legt, und demnach annimmt, daß sich übri-
gens alle Widerlagen des Bogens der Kup-
pel von St. Peter losgegeben hätten, so wäre
der Widerstand doch nur um einen Drittheil
geringer als der Druck. Andere Schriftstel-
ler bemerken darum vortreflich, so eine Ba-
lance des Drucks und Widerstands müsse in
diesem Falle nicht die Ursache warum sich die
Widerlagen losgegeben hätten, sondern eine
Folge davon gewesen seyn; das ist, diese
Balance müsse erst erfolgt seyn, nachdem sich
die Widerlagen losgegeben. Nach der an-
dern Hypothese hingegen müßte der Wider-
stand, wenn die Widerlagen noch mit dem
Bogen verbunden gewesen, grösser, und alle
Bewegungen gegen den äussern Winkel der
Base unmöglich gewesen seyn. Und deswe-
gen waren sie der Meinung, man müsse noch
eine dritte ganz andere Hypothese annehmen,
woraus der Riß der Widerlagen und die er-
sten Verletzungen der Kuppel überhaupt zu
erklären wären.

Jch, meiner seits, halte dafür, daß Kuppeln
und Gewölbe auf tausend andre Arten leiden

können.

waͤre, ſo muͤßte der Schwerpunkt des Bogens
ſteigen, im entgegen geſetzten Falle aber ſich
ſenken, und es waͤre alſo im zweiten Falle viel
weniger Kraft noͤthig als im erſten. Wenn
man nun dieſe zwote Hypotheſe zum Grunde
legt, und demnach annimmt, daß ſich uͤbri-
gens alle Widerlagen des Bogens der Kup-
pel von St. Peter losgegeben haͤtten, ſo waͤre
der Widerſtand doch nur um einen Drittheil
geringer als der Druck. Andere Schriftſtel-
ler bemerken darum vortreflich, ſo eine Ba-
lance des Drucks und Widerſtands muͤſſe in
dieſem Falle nicht die Urſache warum ſich die
Widerlagen losgegeben haͤtten, ſondern eine
Folge davon geweſen ſeyn; das iſt, dieſe
Balance muͤſſe erſt erfolgt ſeyn, nachdem ſich
die Widerlagen losgegeben. Nach der an-
dern Hypotheſe hingegen muͤßte der Wider-
ſtand, wenn die Widerlagen noch mit dem
Bogen verbunden geweſen, groͤſſer, und alle
Bewegungen gegen den aͤuſſern Winkel der
Baſe unmoͤglich geweſen ſeyn. Und deswe-
gen waren ſie der Meinung, man muͤſſe noch
eine dritte ganz andere Hypotheſe annehmen,
woraus der Riß der Widerlagen und die er-
ſten Verletzungen der Kuppel uͤberhaupt zu
erklaͤren waͤren.

Jch, meiner ſeits, halte dafuͤr, daß Kuppeln
und Gewoͤlbe auf tauſend andre Arten leiden

koͤnnen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="152"/>
wa&#x0364;re, &#x017F;o mu&#x0364;ßte der Schwerpunkt des Bogens<lb/>
&#x017F;teigen, im entgegen ge&#x017F;etzten Falle aber &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;enken, und es wa&#x0364;re al&#x017F;o im zweiten Falle viel<lb/>
weniger Kraft no&#x0364;thig als im er&#x017F;ten. Wenn<lb/>
man nun die&#x017F;e zwote Hypothe&#x017F;e zum Grunde<lb/>
legt, und demnach annimmt, daß &#x017F;ich u&#x0364;bri-<lb/>
gens alle Widerlagen des Bogens der Kup-<lb/>
pel von St. Peter losgegeben ha&#x0364;tten, &#x017F;o wa&#x0364;re<lb/>
der Wider&#x017F;tand doch nur um einen Drittheil<lb/>
geringer als der Druck. Andere Schrift&#x017F;tel-<lb/>
ler bemerken darum vortreflich, &#x017F;o eine Ba-<lb/>
lance des Drucks und Wider&#x017F;tands mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e in<lb/>
die&#x017F;em Falle nicht die Ur&#x017F;ache warum &#x017F;ich die<lb/>
Widerlagen losgegeben ha&#x0364;tten, &#x017F;ondern eine<lb/>
Folge davon gewe&#x017F;en &#x017F;eyn; das i&#x017F;t, die&#x017F;e<lb/>
Balance mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e er&#x017F;t erfolgt &#x017F;eyn, nachdem &#x017F;ich<lb/>
die Widerlagen losgegeben. Nach der an-<lb/>
dern Hypothe&#x017F;e hingegen mu&#x0364;ßte der Wider-<lb/>
&#x017F;tand, wenn die Widerlagen noch mit dem<lb/>
Bogen verbunden gewe&#x017F;en, gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, und alle<lb/>
Bewegungen gegen den a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Winkel der<lb/>
Ba&#x017F;e unmo&#x0364;glich gewe&#x017F;en &#x017F;eyn. Und deswe-<lb/>
gen waren &#x017F;ie der Meinung, man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e noch<lb/>
eine dritte ganz andere Hypothe&#x017F;e annehmen,<lb/>
woraus der Riß der Widerlagen und die er-<lb/>
&#x017F;ten Verletzungen der Kuppel u&#x0364;berhaupt zu<lb/>
erkla&#x0364;ren wa&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>Jch, meiner &#x017F;eits, halte dafu&#x0364;r, daß Kuppeln<lb/>
und Gewo&#x0364;lbe auf tau&#x017F;end andre Arten leiden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ko&#x0364;nnen.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0156] waͤre, ſo muͤßte der Schwerpunkt des Bogens ſteigen, im entgegen geſetzten Falle aber ſich ſenken, und es waͤre alſo im zweiten Falle viel weniger Kraft noͤthig als im erſten. Wenn man nun dieſe zwote Hypotheſe zum Grunde legt, und demnach annimmt, daß ſich uͤbri- gens alle Widerlagen des Bogens der Kup- pel von St. Peter losgegeben haͤtten, ſo waͤre der Widerſtand doch nur um einen Drittheil geringer als der Druck. Andere Schriftſtel- ler bemerken darum vortreflich, ſo eine Ba- lance des Drucks und Widerſtands muͤſſe in dieſem Falle nicht die Urſache warum ſich die Widerlagen losgegeben haͤtten, ſondern eine Folge davon geweſen ſeyn; das iſt, dieſe Balance muͤſſe erſt erfolgt ſeyn, nachdem ſich die Widerlagen losgegeben. Nach der an- dern Hypotheſe hingegen muͤßte der Wider- ſtand, wenn die Widerlagen noch mit dem Bogen verbunden geweſen, groͤſſer, und alle Bewegungen gegen den aͤuſſern Winkel der Baſe unmoͤglich geweſen ſeyn. Und deswe- gen waren ſie der Meinung, man muͤſſe noch eine dritte ganz andere Hypotheſe annehmen, woraus der Riß der Widerlagen und die er- ſten Verletzungen der Kuppel uͤberhaupt zu erklaͤren waͤren. Jch, meiner ſeits, halte dafuͤr, daß Kuppeln und Gewoͤlbe auf tauſend andre Arten leiden koͤnnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/156
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/156>, abgerufen am 09.11.2024.