Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.bleiben lassen; aber Ton? Farbe? die schnel- Nehmen Sie doch Eins der alten Lieder,
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bleiben laſſen; aber Ton? Farbe? die ſchnel- Nehmen Sie doch Eins der alten Lieder,
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<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="7"/> bleiben laſſen; aber Ton? Farbe? die ſchnel-<lb/> leſte Empfindung von Eigenheit des Orts, des<lb/> Zwecks? — Und beruht nicht auf dieſen alle<lb/> Schoͤnheit eines Gedichts, aller Geiſt und<lb/> Kraft der Rede? — Jhnen alſo immer zuge-<lb/> geben, daß unſer Oſſian, als ein poetiſches<lb/> Werk ſo gut, ja beſſer, als der Engliſche<lb/> ſey — eben weil er ein ſo ſchoͤnes poetiſches<lb/> Werk iſt, ſo iſt er der alte Barde, Oſſian,<lb/> nicht mehr; das will ich ja eben ſagen?</p><lb/> <p>Nehmen Sie doch Eins der alten Lieder,<lb/> die in <hi rendition="#fr">Shakeſpear,</hi> oder in den engliſchen<lb/> Sammlungen dieſer Art vorkommen, und ent-<lb/> kleiden Sies von allem Lyriſchen des Wohl-<lb/> klanges, des Reims, der Wortſetzung, des<lb/> dunkeln Ganges der Melodie: laſſen Sie<lb/> ihm blos den Sinn, ſo ſo, und auf ſolche und<lb/> ſolche Weiſe in eine andre Sprache uͤbertra-<lb/> gen; iſts nicht, als wenn Sie die Noten in<lb/> einer Melodie von <hi rendition="#fr">Pergoleſe,</hi> oder die Let-<lb/> tern auf einer Blattſeite umwuͤrfen? wo blie-<lb/> be der Sinn der Seite? wo bliebe Pergoleſe?<lb/> Mir faͤllt eben das Liedchen aus Shakeſpears<lb/><hi rendition="#aq">Twelfth-Night</hi> in die Haͤnde, bey welchem<lb/> der Liebeſieche Herzog von hinnen ſcheiden<lb/> will: —</p><lb/> <cit> <quote> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et">that old and antik ſong</hi> </hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et">Me thought it did relieve my paſſion</hi> </hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#et">much —</hi> </hi> </hi> </l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">A 4</fw> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">More</hi> </hi> </fw><lb/> </lg> </quote> </cit> </div> </body> </text> </TEI> [7/0011]
bleiben laſſen; aber Ton? Farbe? die ſchnel-
leſte Empfindung von Eigenheit des Orts, des
Zwecks? — Und beruht nicht auf dieſen alle
Schoͤnheit eines Gedichts, aller Geiſt und
Kraft der Rede? — Jhnen alſo immer zuge-
geben, daß unſer Oſſian, als ein poetiſches
Werk ſo gut, ja beſſer, als der Engliſche
ſey — eben weil er ein ſo ſchoͤnes poetiſches
Werk iſt, ſo iſt er der alte Barde, Oſſian,
nicht mehr; das will ich ja eben ſagen?
Nehmen Sie doch Eins der alten Lieder,
die in Shakeſpear, oder in den engliſchen
Sammlungen dieſer Art vorkommen, und ent-
kleiden Sies von allem Lyriſchen des Wohl-
klanges, des Reims, der Wortſetzung, des
dunkeln Ganges der Melodie: laſſen Sie
ihm blos den Sinn, ſo ſo, und auf ſolche und
ſolche Weiſe in eine andre Sprache uͤbertra-
gen; iſts nicht, als wenn Sie die Noten in
einer Melodie von Pergoleſe, oder die Let-
tern auf einer Blattſeite umwuͤrfen? wo blie-
be der Sinn der Seite? wo bliebe Pergoleſe?
Mir faͤllt eben das Liedchen aus Shakeſpears
Twelfth-Night in die Haͤnde, bey welchem
der Liebeſieche Herzog von hinnen ſcheiden
will: —
that old and antik ſong
Me thought it did relieve my paſſion
much —
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