Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.Exsistenz geben muß, und wird ein Kind, Als z. E. der Dichter den schrecklichen Kö- nichts
Exſiſtenz geben muß, und wird ein Kind, Als z. E. der Dichter den ſchrecklichen Koͤ- nichts
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Exſiſtenz geben muß, und wird ein Kind,
ein Juͤngling, ein Verliebter, ein Mann im
Felde der Thaten ſich wohl Einen Umſtand
des Lokals, des Wie? und Wo? und Wann?
wegſchneiden laſſen, ohne daß die ganze Vor-
ſtellung ſeiner Seele litte? Da iſt nun Sha-
keſpear der groͤſte Meiſter, eben weil er nur
und immer Diener der Natur iſt. Wenn
er die Begebenheiten ſeines Drama dachte,
im Kopf waͤlzte, wie waͤlzen ſich jedesmal
Oerter und Zeiten ſo mit umher! Aus Sce-
nen und Zeitlaͤuften aller Welt findet ſich,
wie durch ein Geſetz der Fatalitaͤt. eben die
hieher, die dem Gefuͤhl der Handlung, die
kraͤftigſte, die idealſte iſt; wo die ſonderbar-
ſten, kuͤhnſten Umſtaͤnde am meiſten den Trug
der Wahrheit unterſtuͤtzen, wo Zeit- und Ort-
wechſel, uͤber die der Dichter ſchaltet, am
lauteſten rufen: „hier iſt kein Dichter! iſt
Schoͤpfer! iſt Geſchichte der Welt!‟
Als z. E. der Dichter den ſchrecklichen Koͤ-
nigsmord, Trauerſpiel Macbeth genannt,
als Faktum der Schoͤpfung in ſeiner Seele
waͤlzte — biſt du, mein lieber Leſer, ſo bloͤde
geweſen, nun in keiner Scene, Scene und
Ort mit zu fuͤhlen — wehe Shakeſpear, dem
verwelkten Blatte in deiner Hand. So haſt
du nichts von der Eroͤfnung durch die Zaube-
rinnen auf der Haide unter Blitz und Donner!
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