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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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das eben zeigt von der Ursprünglichkeit und --
Menschlichkeit der Sprache. Sind diese Stämme
Schätze und Abstraktionen aus dem Verstande
Gottes, oder die ersten Laute des horchenden
Ohrs? Die ersten Schälle der stammelnden
Zunge? Das Menschengeschlecht in seiner Kind-
heit hat sich ja eben die Sprache geformet, die
ein Unmündiger stammlet: es ist das lallende
Wörterbuch der Ammenstube -- wo bleibt das
im Munde der Erwachsnen?

Was so viele Alten sagen und so viel Neuere
ohne Sinn nachgesagt, nimmt hieraus sein sinn-
liches Leben: "daß nemlich Poesie älter gewe-
"sen, als Prosa!
" Denn was war diese erste
Sprache als eine Sammlung von Elementen der
Poesie? Nachahmung der tönenden, handelnden,
sich regenden Natur! Aus den Jnterjektionen
aller Wesen genommen, und von Jnterjektion
menschlicher Empfindung belebet! Die Natur-
sprache aller Geschöpfe vom Verstande in Laute
gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenschaft
und lebender Einwürkung! Ein Wörterbuch der
Seele, was zugleich Mythologie und eine wun-

der-
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das eben zeigt von der Urſpruͤnglichkeit und —
Menſchlichkeit der Sprache. Sind dieſe Staͤmme
Schaͤtze und Abſtraktionen aus dem Verſtande
Gottes, oder die erſten Laute des horchenden
Ohrs? Die erſten Schaͤlle der ſtammelnden
Zunge? Das Menſchengeſchlecht in ſeiner Kind-
heit hat ſich ja eben die Sprache geformet, die
ein Unmuͤndiger ſtammlet: es iſt das lallende
Woͤrterbuch der Ammenſtube — wo bleibt das
im Munde der Erwachſnen?

Was ſo viele Alten ſagen und ſo viel Neuere
ohne Sinn nachgeſagt, nimmt hieraus ſein ſinn-
liches Leben: „daß nemlich Poeſie aͤlter gewe-
„ſen, als Proſa!
„ Denn was war dieſe erſte
Sprache als eine Sammlung von Elementen der
Poeſie? Nachahmung der toͤnenden, handelnden,
ſich regenden Natur! Aus den Jnterjektionen
aller Weſen genommen, und von Jnterjektion
menſchlicher Empfindung belebet! Die Natur-
ſprache aller Geſchoͤpfe vom Verſtande in Laute
gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenſchaft
und lebender Einwuͤrkung! Ein Woͤrterbuch der
Seele, was zugleich Mythologie und eine wun-

der-
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[87/0093] das eben zeigt von der Urſpruͤnglichkeit und — Menſchlichkeit der Sprache. Sind dieſe Staͤmme Schaͤtze und Abſtraktionen aus dem Verſtande Gottes, oder die erſten Laute des horchenden Ohrs? Die erſten Schaͤlle der ſtammelnden Zunge? Das Menſchengeſchlecht in ſeiner Kind- heit hat ſich ja eben die Sprache geformet, die ein Unmuͤndiger ſtammlet: es iſt das lallende Woͤrterbuch der Ammenſtube — wo bleibt das im Munde der Erwachſnen? Was ſo viele Alten ſagen und ſo viel Neuere ohne Sinn nachgeſagt, nimmt hieraus ſein ſinn- liches Leben: „daß nemlich Poeſie aͤlter gewe- „ſen, als Proſa!„ Denn was war dieſe erſte Sprache als eine Sammlung von Elementen der Poeſie? Nachahmung der toͤnenden, handelnden, ſich regenden Natur! Aus den Jnterjektionen aller Weſen genommen, und von Jnterjektion menſchlicher Empfindung belebet! Die Natur- ſprache aller Geſchoͤpfe vom Verſtande in Laute gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenſchaft und lebender Einwuͤrkung! Ein Woͤrterbuch der Seele, was zugleich Mythologie und eine wun- der- F 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/93>, abgerufen am 22.11.2024.