Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli-
schen, Ueberirrdischen seiner Züge? Wo findet
das aber bei unsrer Sprache statt? Bau, und
Grundriß, ja selbst der erste Grundstein dieses Pal-
lasts verräth Menschheit!

Jn welcher Sprache sind himmlische, geistige
Begriffe die Ersten? Jene Begriffe, die auch
nach der Ordnung unsres denkenden Geistes die
Ersten seyn mußten -- Subjekte, notiones com-
munes,
die Saamenkörner unsrer Erkenntniß, die
Punkte, um die sich alles wendet und alles zurück-
führt -- sind diese lebende Punkte Elemente der
Sprache? Die Subjekte mußten doch natürli-
cher Weise vor dem Prädlkat, und die einfachsten
Subjekte vor den zusammengesezten, was da thut
und handelt, vor dem, was es handelt, das We-
sentliche und Gewisse vor dem Ungewissen Zufälli-
gen, vorhergegangen seyn -- Ja, was man
nicht alles schließen könnte, und -- in unsern ur-
sprünglichen Sprachen findet durchgängig das
offenbare Gegentheil statt. Ein hörendes, aufhor-
chendes Geschöpf ist kennbar, aber kein himmli-
scher Geist: denn -- tönende Verba sind die er-

sten

einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli-
ſchen, Ueberirrdiſchen ſeiner Zuͤge? Wo findet
das aber bei unſrer Sprache ſtatt? Bau, und
Grundriß, ja ſelbſt der erſte Grundſtein dieſes Pal-
laſts verraͤth Menſchheit!

Jn welcher Sprache ſind himmliſche, geiſtige
Begriffe die Erſten? Jene Begriffe, die auch
nach der Ordnung unſres denkenden Geiſtes die
Erſten ſeyn mußten — Subjekte, notiones com-
munes,
die Saamenkoͤrner unſrer Erkenntniß, die
Punkte, um die ſich alles wendet und alles zuruͤck-
fuͤhrt — ſind dieſe lebende Punkte Elemente der
Sprache? Die Subjekte mußten doch natuͤrli-
cher Weiſe vor dem Praͤdlkat, und die einfachſten
Subjekte vor den zuſammengeſezten, was da thut
und handelt, vor dem, was es handelt, das We-
ſentliche und Gewiſſe vor dem Ungewiſſen Zufaͤlli-
gen, vorhergegangen ſeyn — Ja, was man
nicht alles ſchließen koͤnnte, und — in unſern ur-
ſpruͤnglichen Sprachen findet durchgaͤngig das
offenbare Gegentheil ſtatt. Ein hoͤrendes, aufhor-
chendes Geſchoͤpf iſt kennbar, aber kein himmli-
ſcher Geiſt: denn — toͤnende Verba ſind die er-

ſten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0086" n="80"/>
einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli-<lb/>
&#x017F;chen, Ueberirrdi&#x017F;chen &#x017F;einer Zu&#x0364;ge? Wo findet<lb/>
das aber bei un&#x017F;rer Sprache &#x017F;tatt? Bau, und<lb/>
Grundriß, ja &#x017F;elb&#x017F;t der er&#x017F;te Grund&#x017F;tein die&#x017F;es Pal-<lb/>
la&#x017F;ts verra&#x0364;th Men&#x017F;chheit!</p><lb/>
            <p>Jn welcher Sprache &#x017F;ind himmli&#x017F;che, gei&#x017F;tige<lb/>
Begriffe die Er&#x017F;ten? Jene Begriffe, die auch<lb/>
nach der Ordnung un&#x017F;res denkenden Gei&#x017F;tes die<lb/>
Er&#x017F;ten &#x017F;eyn mußten &#x2014; Subjekte, <hi rendition="#aq">notiones com-<lb/>
munes,</hi> die Saamenko&#x0364;rner un&#x017F;rer Erkenntniß, die<lb/>
Punkte, um die &#x017F;ich alles wendet und alles zuru&#x0364;ck-<lb/>
fu&#x0364;hrt &#x2014; &#x017F;ind die&#x017F;e lebende Punkte Elemente der<lb/>
Sprache? Die Subjekte mußten doch natu&#x0364;rli-<lb/>
cher Wei&#x017F;e vor dem Pra&#x0364;dlkat, und die einfach&#x017F;ten<lb/>
Subjekte vor den zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezten, was da thut<lb/>
und handelt, vor dem, was es handelt, das We-<lb/>
&#x017F;entliche und Gewi&#x017F;&#x017F;e vor dem Ungewi&#x017F;&#x017F;en Zufa&#x0364;lli-<lb/>
gen, vorhergegangen &#x017F;eyn &#x2014; Ja, was man<lb/>
nicht alles &#x017F;chließen ko&#x0364;nnte, und &#x2014; in un&#x017F;ern ur-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;nglichen Sprachen findet durchga&#x0364;ngig das<lb/>
offenbare Gegentheil &#x017F;tatt. Ein ho&#x0364;rendes, aufhor-<lb/>
chendes Ge&#x017F;cho&#x0364;pf i&#x017F;t kennbar, aber kein himmli-<lb/>
&#x017F;cher Gei&#x017F;t: denn &#x2014; <hi rendition="#fr">to&#x0364;nende</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Verba</hi></hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;ind die er-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x017F;ten</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0086] einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli- ſchen, Ueberirrdiſchen ſeiner Zuͤge? Wo findet das aber bei unſrer Sprache ſtatt? Bau, und Grundriß, ja ſelbſt der erſte Grundſtein dieſes Pal- laſts verraͤth Menſchheit! Jn welcher Sprache ſind himmliſche, geiſtige Begriffe die Erſten? Jene Begriffe, die auch nach der Ordnung unſres denkenden Geiſtes die Erſten ſeyn mußten — Subjekte, notiones com- munes, die Saamenkoͤrner unſrer Erkenntniß, die Punkte, um die ſich alles wendet und alles zuruͤck- fuͤhrt — ſind dieſe lebende Punkte Elemente der Sprache? Die Subjekte mußten doch natuͤrli- cher Weiſe vor dem Praͤdlkat, und die einfachſten Subjekte vor den zuſammengeſezten, was da thut und handelt, vor dem, was es handelt, das We- ſentliche und Gewiſſe vor dem Ungewiſſen Zufaͤlli- gen, vorhergegangen ſeyn — Ja, was man nicht alles ſchließen koͤnnte, und — in unſern ur- ſpruͤnglichen Sprachen findet durchgaͤngig das offenbare Gegentheil ſtatt. Ein hoͤrendes, aufhor- chendes Geſchoͤpf iſt kennbar, aber kein himmli- ſcher Geiſt: denn — toͤnende Verba ſind die er- ſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/86
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/86>, abgerufen am 06.05.2024.