Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.erweisende Satz von Hr. S. nur erläutert; da Jch habe Süßmilchs Schlußart einen ewi- kann
erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi- kann
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0067" n="61"/> erweiſende Satz von Hr. S. nur <hi rendition="#fr">erlaͤutert;</hi> da<lb/> ich <hi rendition="#fr">erwieſen</hi> zu haben glaube, daß ſelbſt die<lb/> erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht<lb/> ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er<lb/> nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache<lb/> erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der<lb/> Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache<lb/> haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich<lb/> den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun<lb/> ſagt er ganz was anders: <hi rendition="#aq">Ratio et Oratio!</hi> Wenn<lb/> keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg-<lb/> lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem<lb/> Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo<lb/> charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.</p><lb/> <p>Jch habe <hi rendition="#fr">Suͤßmilchs</hi> Schlußart einen ewi-<lb/> gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben<lb/> ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und<lb/> das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat<lb/> der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft<lb/> keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft<lb/> iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne<lb/> goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft<lb/> und Sprache — wo kommen wir da je hin? Wie<lb/> <fw place="bottom" type="catch">kann</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0067]
erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da
ich erwieſen zu haben glaube, daß ſelbſt die
erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht
ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er
nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache
erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der
Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache
haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich
den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun
ſagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn
keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg-
lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem
Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo
charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.
Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi-
gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben
ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und
das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat
der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft
keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft
iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne
goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft
und Sprache — wo kommen wir da je hin? Wie
kann
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