ner Sinne, der Richtung seiner Vorstellungen und der Stärke seiner Begierden angemessen ist -- Und welche Thiersprache ist so für den Menschen?
Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel- che Sprache, (außer der vorigen mechanischen), hat der Mensch so instinktmäßig, als jede Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer Sphäre? -- die Antwort ist kurz: keine! und eben diese kurze Antwort entscheidet.
Bei jedem Thiere ist, wie wir gesehen, seine Sprache eine Aeußerung so starker sinnlicher Vor- stellungen, daß diese zu Trieben werden: mithin ist Sprache, so wie Sinne, und Vorstellungen und Triebe angebohren und dem Thier unmit- telbar natürlich. Die Biene sumset, wie sie sauget; der Vogel singt wie er nistet -- aber wie spricht der Mensch von Natur? Gar nicht! so wie er wenig oder nichts durch völligen Jnstinkt, als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr- nen Kinde das Geschrei seiner empfindsamen Ma- schine aus; sonst ists stumm; es äußert weder Vorstellungen noch Triebe durch Töne, wie doch jedes Thier in seiner Art; blos unter Thiere ge-
stellet,
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ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und der Staͤrke ſeiner Begierden angemeſſen iſt — Und welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen?
Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel- che Sprache, (außer der vorigen mechaniſchen), hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer Sphaͤre? — die Antwort iſt kurz: keine! und eben dieſe kurze Antwort entſcheidet.
Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor- ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen und Triebe angebohren und dem Thier unmit- telbar natuͤrlich. Die Biene ſumſet, wie ſie ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet — aber wie ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht! ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt, als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr- nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma- ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder Vorſtellungen noch Triebe durch Toͤne, wie doch jedes Thier in ſeiner Art; blos unter Thiere ge-
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ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und
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welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen?
Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel-
che Sprache, (außer der vorigen mechaniſchen),
hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede
Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer
Sphaͤre? — die Antwort iſt kurz: keine! und
eben dieſe kurze Antwort entſcheidet.
Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine
Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor-
ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin
iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen
und Triebe angebohren und dem Thier unmit-
telbar natuͤrlich. Die Biene ſumſet, wie ſie
ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet — aber wie
ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht!
ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt,
als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr-
nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma-
ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/43>, abgerufen am 22.07.2024.
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