fühlt Bruch und Zerstöhrung mit: der Todeston tö- net. Das ist das Band dieser Natursprache!
Ueberall sind die Europäer, Trotz ihrer Bil- dung und Mißbildung! von den rohen Klagetönen der Wilden heftig gerührt worden. Leri erzählt aus Brasilien, wie sehr seine Leute von dem herz- lichen, unförmlichen Geschrei der Liebe und Leut- seligkeit dieser Amerikaner bis zu Thränen seyn er- weicht worden. Charlevoix und andre wissen nicht gnug den grausenden Eindruck auszudrücken, den die Krieges- und Zauberlieder der Nordameri- kaner machen. Wenn wir später Gelegenheit ha- ben werden zu bemerken, wie sehr die alte Poesie und Musik von diesen Naturtönen sey belebet wor- den: so werden wir auch die Würkung philosophi- scher erklären können, die z. E. der älteste griechi- sche Gesang, und Tanz, die alte griechische Bühne, und überhaupt Musik, Tanz und Poesie noch auf alle Wilde machen. Und auch selbst bei uns, wo freilich die Vernunft oft die Empfindung und die künstliche Sprache der Gesellschaft die Töne der Natur aus ihrem Amt setzet, kommen nicht noch oft die höchsten Donner der Beredsamkeit, die mäch-
tigsten
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fuͤhlt Bruch und Zerſtoͤhrung mit: der Todeston toͤ- net. Das iſt das Band dieſer Naturſprache!
Ueberall ſind die Europaͤer, Trotz ihrer Bil- dung und Mißbildung! von den rohen Klagetoͤnen der Wilden heftig geruͤhrt worden. Leri erzaͤhlt aus Braſilien, wie ſehr ſeine Leute von dem herz- lichen, unfoͤrmlichen Geſchrei der Liebe und Leut- ſeligkeit dieſer Amerikaner bis zu Thraͤnen ſeyn er- weicht worden. Charlevoix und andre wiſſen nicht gnug den grauſenden Eindruck auszudruͤcken, den die Krieges- und Zauberlieder der Nordameri- kaner machen. Wenn wir ſpaͤter Gelegenheit ha- ben werden zu bemerken, wie ſehr die alte Poeſie und Muſik von dieſen Naturtoͤnen ſey belebet wor- den: ſo werden wir auch die Wuͤrkung philoſophi- ſcher erklaͤren koͤnnen, die z. E. der aͤlteſte griechi- ſche Geſang, und Tanz, die alte griechiſche Buͤhne, und uͤberhaupt Muſik, Tanz und Poeſie noch auf alle Wilde machen. Und auch ſelbſt bei uns, wo freilich die Vernunft oft die Empfindung und die kuͤnſtliche Sprache der Geſellſchaft die Toͤne der Natur aus ihrem Amt ſetzet, kommen nicht noch oft die hoͤchſten Donner der Beredſamkeit, die maͤch-
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fuͤhlt Bruch und Zerſtoͤhrung mit: der Todeston toͤ-
net. Das iſt das Band dieſer Naturſprache!
Ueberall ſind die Europaͤer, Trotz ihrer Bil-
dung und Mißbildung! von den rohen Klagetoͤnen
der Wilden heftig geruͤhrt worden. Leri erzaͤhlt
aus Braſilien, wie ſehr ſeine Leute von dem herz-
lichen, unfoͤrmlichen Geſchrei der Liebe und Leut-
ſeligkeit dieſer Amerikaner bis zu Thraͤnen ſeyn er-
weicht worden. Charlevoix und andre wiſſen
nicht gnug den grauſenden Eindruck auszudruͤcken,
den die Krieges- und Zauberlieder der Nordameri-
kaner machen. Wenn wir ſpaͤter Gelegenheit ha-
ben werden zu bemerken, wie ſehr die alte Poeſie
und Muſik von dieſen Naturtoͤnen ſey belebet wor-
den: ſo werden wir auch die Wuͤrkung philoſophi-
ſcher erklaͤren koͤnnen, die z. E. der aͤlteſte griechi-
ſche Geſang, und Tanz, die alte griechiſche Buͤhne,
und uͤberhaupt Muſik, Tanz und Poeſie noch auf
alle Wilde machen. Und auch ſelbſt bei uns, wo
freilich die Vernunft oft die Empfindung und die
kuͤnſtliche Sprache der Geſellſchaft die Toͤne der
Natur aus ihrem Amt ſetzet, kommen nicht noch
oft die hoͤchſten Donner der Beredſamkeit, die maͤch-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/27>, abgerufen am 16.02.2025.
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