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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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Da die Menschheit auf dieser Stuffe der Bil-
dung mehr Kräfte der Würksamkeit als Güter
des Besitzes hat: so ist auch der Stolz auf jene
mehr Ehrenpunkt, als das leidige Besitzthum der
lezten wie in spätern nervenlosen Zeiten. Ein
braver Mann zu seyn, und einer braven Familie
zu gehören war aber im damaligen Zeitalter fast
Eins, da der Sohn in vielem Betracht noch ei-
gentlicher als bei uns seine Tugend und Tapferkeit
vom Vater erbte, lernte, und der ganze Stamm
überhaupt bei allen Gelegenheiten für einen bra-
ven Mann stand. Es ward also bald das Wort
natürlich: wer nicht mit und aus uns ist, der
ist unter uns!
der Fremdling ist schlechter,
als wir, ist barbar. Jn diesem Verstande war
Barbar das Losungswort der Verachtung: ein
fremder und zugleich ein unedlerer, der uns an
Weißheit oder Tapferkeit, oder was der Ehren-
punkt des Zeitalters sei, nicht gleich kommt.

Nun ist dies freilich, wie ein Engländer rich-
tig anmerkt, wenn es blos auf Eigennutz und Si-
cherheit des Besitzes ankommt, kein Grund zum
Haße, daß der Nachbar nicht so tapfer als wir

ist:
N 3

Da die Menſchheit auf dieſer Stuffe der Bil-
dung mehr Kraͤfte der Wuͤrkſamkeit als Guͤter
des Beſitzes hat: ſo iſt auch der Stolz auf jene
mehr Ehrenpunkt, als das leidige Beſitzthum der
lezten wie in ſpaͤtern nervenloſen Zeiten. Ein
braver Mann zu ſeyn, und einer braven Familie
zu gehoͤren war aber im damaligen Zeitalter faſt
Eins, da der Sohn in vielem Betracht noch ei-
gentlicher als bei uns ſeine Tugend und Tapferkeit
vom Vater erbte, lernte, und der ganze Stamm
uͤberhaupt bei allen Gelegenheiten fuͤr einen bra-
ven Mann ſtand. Es ward alſo bald das Wort
natuͤrlich: wer nicht mit und aus uns iſt, der
iſt unter uns!
der Fremdling iſt ſchlechter,
als wir, iſt barbar. Jn dieſem Verſtande war
Barbar das Loſungswort der Verachtung: ein
fremder und zugleich ein unedlerer, der uns an
Weißheit oder Tapferkeit, oder was der Ehren-
punkt des Zeitalters ſei, nicht gleich kommt.

Nun iſt dies freilich, wie ein Englaͤnder rich-
tig anmerkt, wenn es blos auf Eigennutz und Si-
cherheit des Beſitzes ankommt, kein Grund zum
Haße, daß der Nachbar nicht ſo tapfer als wir

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[197/0203] Da die Menſchheit auf dieſer Stuffe der Bil- dung mehr Kraͤfte der Wuͤrkſamkeit als Guͤter des Beſitzes hat: ſo iſt auch der Stolz auf jene mehr Ehrenpunkt, als das leidige Beſitzthum der lezten wie in ſpaͤtern nervenloſen Zeiten. Ein braver Mann zu ſeyn, und einer braven Familie zu gehoͤren war aber im damaligen Zeitalter faſt Eins, da der Sohn in vielem Betracht noch ei- gentlicher als bei uns ſeine Tugend und Tapferkeit vom Vater erbte, lernte, und der ganze Stamm uͤberhaupt bei allen Gelegenheiten fuͤr einen bra- ven Mann ſtand. Es ward alſo bald das Wort natuͤrlich: wer nicht mit und aus uns iſt, der iſt unter uns! der Fremdling iſt ſchlechter, als wir, iſt barbar. Jn dieſem Verſtande war Barbar das Loſungswort der Verachtung: ein fremder und zugleich ein unedlerer, der uns an Weißheit oder Tapferkeit, oder was der Ehren- punkt des Zeitalters ſei, nicht gleich kommt. Nun iſt dies freilich, wie ein Englaͤnder rich- tig anmerkt, wenn es blos auf Eigennutz und Si- cherheit des Beſitzes ankommt, kein Grund zum Haße, daß der Nachbar nicht ſo tapfer als wir iſt: N 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/203>, abgerufen am 22.11.2024.