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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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Was dies auf die ganze Kette für Würkung
thue, sehen wir später; hier schränken wir uns
nur auf den Zusammenhang der ersten zween
Ringe ein! auf "die Bildung einer Familien-
"denkart durch den Unterricht der Erzie-
"hung
" und --

Da der Unterricht der eignen Seele, der
Jdeenkreis der Elternsprache ist: so wird "die
Fortbildung des menschlichen Unterrichts
"durch den Geist der Familie, durch den die
"Natur das ganze Geschlecht verknüpft hat, auch
"Fortbildung der Sprache."

Warum hängt dieser Unmündige so schwach
und unwissend an den Brüsten seiner Mutter, an
den Knien seines Vaters? Damit er lehrbegierig
sey und Sprache lerne. Er ist schwach, damit
sein Geschlecht stark werde. Nun theilt sich ihm
mit der Sprache, die ganze Seele, die ganze
Denkart seiner Erzeuger mit; aber eben deswegen
theilen sie es ihm gerne mit, weil es ihr Selbstge-
dachtes, Selbstgefühltes, Selbsterfundenes ist,
was sie mittheilen. Der Säugling, der die ersten
Worte sammlet, stammlet die Gefühle seiner El-

tern

Was dies auf die ganze Kette fuͤr Wuͤrkung
thue, ſehen wir ſpaͤter; hier ſchraͤnken wir uns
nur auf den Zuſammenhang der erſten zween
Ringe ein! auf „die Bildung einer Familien-
„denkart durch den Unterricht der Erzie-
„hung
„ und —

Da der Unterricht der eignen Seele, der
Jdeenkreis der Elternſprache iſt: ſo wird „die
Fortbildung des menſchlichen Unterrichts
„durch den Geiſt der Familie, durch den die
„Natur das ganze Geſchlecht verknuͤpft hat, auch
Fortbildung der Sprache.

Warum haͤngt dieſer Unmuͤndige ſo ſchwach
und unwiſſend an den Bruͤſten ſeiner Mutter, an
den Knien ſeines Vaters? Damit er lehrbegierig
ſey und Sprache lerne. Er iſt ſchwach, damit
ſein Geſchlecht ſtark werde. Nun theilt ſich ihm
mit der Sprache, die ganze Seele, die ganze
Denkart ſeiner Erzeuger mit; aber eben deswegen
theilen ſie es ihm gerne mit, weil es ihr Selbſtge-
dachtes, Selbſtgefuͤhltes, Selbſterfundenes iſt,
was ſie mittheilen. Der Saͤugling, der die erſten
Worte ſammlet, ſtammlet die Gefuͤhle ſeiner El-

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[176/0182] Was dies auf die ganze Kette fuͤr Wuͤrkung thue, ſehen wir ſpaͤter; hier ſchraͤnken wir uns nur auf den Zuſammenhang der erſten zween Ringe ein! auf „die Bildung einer Familien- „denkart durch den Unterricht der Erzie- „hung„ und — Da der Unterricht der eignen Seele, der Jdeenkreis der Elternſprache iſt: ſo wird „die Fortbildung des menſchlichen Unterrichts „durch den Geiſt der Familie, durch den die „Natur das ganze Geſchlecht verknuͤpft hat, auch „Fortbildung der Sprache.„ Warum haͤngt dieſer Unmuͤndige ſo ſchwach und unwiſſend an den Bruͤſten ſeiner Mutter, an den Knien ſeines Vaters? Damit er lehrbegierig ſey und Sprache lerne. Er iſt ſchwach, damit ſein Geſchlecht ſtark werde. Nun theilt ſich ihm mit der Sprache, die ganze Seele, die ganze Denkart ſeiner Erzeuger mit; aber eben deswegen theilen ſie es ihm gerne mit, weil es ihr Selbſtge- dachtes, Selbſtgefuͤhltes, Selbſterfundenes iſt, was ſie mittheilen. Der Saͤugling, der die erſten Worte ſammlet, ſtammlet die Gefuͤhle ſeiner El- tern

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/182>, abgerufen am 09.05.2024.