Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

log in seinem todten Museum an einer Sprache
verbessern, die in aller ihrer Würksamkeit lebt?

"Sollen denn nun alle Völker auf gleiche
"Weise mit der Verbesserung zu Werke gegangen
"seyn?" Ganz auf gleiche Weise, denn sie gien-
gen alle menschlich: so daß wir uns hier in den
wesentlichen Rudimenten der Sprache einen für
alle anzunehmen getrauen. Wann das aber das
größte Wunder seyn soll, *) daß alle Sprachen
acht
partes Orationis, haben: so ist wieder das Fak-
tum falsch, und der Schluß unrichtig. Nicht alle
Sprachen haben von allen Zeiten herunter achte ge-
habt: sondern der erste philosophische Blick in die
Bauart einer Sprache zeigt, daß diese achte sich aus-
einander entwickelt. Jn den ältesten sind Verba
eher gewesen, als Nomina, und vielleicht Jnter-
jektionen eher, als selbst regelmäßige Verba. Jn
den spätern sind Nomina mit Verbis gleich zusam-
men abgeleitet; allein selbst von der griechischen
sagts Aristoteles, daß auch in ihr dies Anfangs
alle Redetheile gewesen, und die andere sich nur

spä-
*) §. 31. 34.

log in ſeinem todten Muſeum an einer Sprache
verbeſſern, die in aller ihrer Wuͤrkſamkeit lebt?

„Sollen denn nun alle Voͤlker auf gleiche
„Weiſe mit der Verbeſſerung zu Werke gegangen
„ſeyn?„ Ganz auf gleiche Weiſe, denn ſie gien-
gen alle menſchlich: ſo daß wir uns hier in den
weſentlichen Rudimenten der Sprache einen fuͤr
alle anzunehmen getrauen. Wann das aber das
groͤßte Wunder ſeyn ſoll, *) daß alle Sprachen
acht
partes Orationis, haben: ſo iſt wieder das Fak-
tum falſch, und der Schluß unrichtig. Nicht alle
Sprachen haben von allen Zeiten herunter achte ge-
habt: ſondern der erſte philoſophiſche Blick in die
Bauart einer Sprache zeigt, daß dieſe achte ſich aus-
einander entwickelt. Jn den aͤlteſten ſind Verba
eher geweſen, als Nomina, und vielleicht Jnter-
jektionen eher, als ſelbſt regelmaͤßige Verba. Jn
den ſpaͤtern ſind Nomina mit Verbis gleich zuſam-
men abgeleitet; allein ſelbſt von der griechiſchen
ſagts Ariſtoteles, daß auch in ihr dies Anfangs
alle Redetheile geweſen, und die andere ſich nur

ſpaͤ-
*) §. 31. 34.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="164"/>
log in &#x017F;einem todten Mu&#x017F;eum an einer Sprache<lb/>
verbe&#x017F;&#x017F;ern, die in aller ihrer Wu&#x0364;rk&#x017F;amkeit <hi rendition="#fr">lebt?</hi></p><lb/>
          <p>&#x201E;Sollen denn nun alle Vo&#x0364;lker auf gleiche<lb/>
&#x201E;Wei&#x017F;e mit der Verbe&#x017F;&#x017F;erung zu Werke gegangen<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn?&#x201E; Ganz auf gleiche Wei&#x017F;e, denn &#x017F;ie gien-<lb/>
gen alle men&#x017F;chlich: &#x017F;o daß wir uns hier in den<lb/>
we&#x017F;entlichen Rudimenten der Sprache einen fu&#x0364;r<lb/>
alle anzunehmen getrauen. Wann das aber das<lb/>
gro&#x0364;ßte Wunder &#x017F;eyn &#x017F;oll, <note place="foot" n="*)">§. 31. 34.</note> <hi rendition="#fr">daß alle Sprachen<lb/>
acht</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">partes Orationis</hi>,</hi> <hi rendition="#fr">haben:</hi> &#x017F;o i&#x017F;t wieder das Fak-<lb/>
tum fal&#x017F;ch, und der Schluß unrichtig. Nicht alle<lb/>
Sprachen haben von allen Zeiten herunter achte ge-<lb/>
habt: &#x017F;ondern der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> philo&#x017F;ophi&#x017F;che Blick in die<lb/>
Bauart einer Sprache zeigt, daß die&#x017F;e achte &#x017F;ich aus-<lb/>
einander entwickelt. Jn den a&#x0364;lte&#x017F;ten &#x017F;ind <hi rendition="#aq">Verba</hi><lb/>
eher gewe&#x017F;en, als <hi rendition="#aq">Nomina,</hi> und vielleicht Jnter-<lb/>
jektionen eher, als &#x017F;elb&#x017F;t regelma&#x0364;ßige <hi rendition="#aq">Verba.</hi> Jn<lb/>
den &#x017F;pa&#x0364;tern &#x017F;ind <hi rendition="#aq">Nomina</hi> mit <hi rendition="#aq">Verbis</hi> gleich zu&#x017F;am-<lb/>
men abgeleitet; allein &#x017F;elb&#x017F;t von der griechi&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;agts <hi rendition="#fr">Ari&#x017F;toteles,</hi> daß auch in ihr dies Anfangs<lb/>
alle Redetheile gewe&#x017F;en, und die andere &#x017F;ich nur<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;pa&#x0364;-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0170] log in ſeinem todten Muſeum an einer Sprache verbeſſern, die in aller ihrer Wuͤrkſamkeit lebt? „Sollen denn nun alle Voͤlker auf gleiche „Weiſe mit der Verbeſſerung zu Werke gegangen „ſeyn?„ Ganz auf gleiche Weiſe, denn ſie gien- gen alle menſchlich: ſo daß wir uns hier in den weſentlichen Rudimenten der Sprache einen fuͤr alle anzunehmen getrauen. Wann das aber das groͤßte Wunder ſeyn ſoll, *) daß alle Sprachen acht partes Orationis, haben: ſo iſt wieder das Fak- tum falſch, und der Schluß unrichtig. Nicht alle Sprachen haben von allen Zeiten herunter achte ge- habt: ſondern der erſte philoſophiſche Blick in die Bauart einer Sprache zeigt, daß dieſe achte ſich aus- einander entwickelt. Jn den aͤlteſten ſind Verba eher geweſen, als Nomina, und vielleicht Jnter- jektionen eher, als ſelbſt regelmaͤßige Verba. Jn den ſpaͤtern ſind Nomina mit Verbis gleich zuſam- men abgeleitet; allein ſelbſt von der griechiſchen ſagts Ariſtoteles, daß auch in ihr dies Anfangs alle Redetheile geweſen, und die andere ſich nur ſpaͤ- *) §. 31. 34.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/170
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/170>, abgerufen am 10.05.2024.