Seele so ganz, wie seinen Körper, aus Einem Stück fühlet, uns mehr, als alle sprachschaffende Akademien, und doch nichts minder, als ein Ge- lehrter ist -- Was wollen wir diesen denn zum Muster nehmen? Wollen wir einander Staub in die Augen streuen, um bewiesen zu haben, der Mensch könne nicht sehen?
Süßmilch ist hier wieder der Gegner, mit dem ich kämpfe. Er hat einen ganzen Abschnitt*) darauf verwandt um zu zeigen, "wie unmöglich "sich der Mensch eine Sprache habe fortbilden "können, wenn er sie auch durch Nachahmung er- "funden hätte!" Daß das Erfinden durch bloße Nachahmung ohne menschliche Seele Unsinn sey, ist bewiesen, und wäre der Vertheiger des göttli- chen Ursprungs dieser Sache demonstrativ gewiß gewesen, daß es Unsinn sey; so traue ich ihm zu, daß er gegen ihn nicht eine Menge von halbwah- ren Gründen zusammen getragen hätte, die jezt gegen eine menschliche Erfindung der Sprache durch Verstand sämmtlich nichts beweisen. Jch kann unmöglich den ganzen Abschnitt, so verflochten mit
will-
*) Abschnitt 2.
L
Seele ſo ganz, wie ſeinen Koͤrper, aus Einem Stuͤck fuͤhlet, uns mehr, als alle ſprachſchaffende Akademien, und doch nichts minder, als ein Ge- lehrter iſt — Was wollen wir dieſen denn zum Muſter nehmen? Wollen wir einander Staub in die Augen ſtreuen, um bewieſen zu haben, der Menſch koͤnne nicht ſehen?
Suͤßmilch iſt hier wieder der Gegner, mit dem ich kaͤmpfe. Er hat einen ganzen Abſchnitt*) darauf verwandt um zu zeigen, „wie unmoͤglich „ſich der Menſch eine Sprache habe fortbilden „koͤnnen, wenn er ſie auch durch Nachahmung er- „funden haͤtte!„ Daß das Erfinden durch bloße Nachahmung ohne menſchliche Seele Unſinn ſey, iſt bewieſen, und waͤre der Vertheiger des goͤttli- chen Urſprungs dieſer Sache demonſtrativ gewiß geweſen, daß es Unſinn ſey; ſo traue ich ihm zu, daß er gegen ihn nicht eine Menge von halbwah- ren Gruͤnden zuſammen getragen haͤtte, die jezt gegen eine menſchliche Erfindung der Sprache durch Verſtand ſaͤmmtlich nichts beweiſen. Jch kann unmoͤglich den ganzen Abſchnitt, ſo verflochten mit
will-
*) Abſchnitt 2.
L
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0167"n="161"/>
Seele ſo ganz, wie ſeinen Koͤrper, aus Einem<lb/>
Stuͤck fuͤhlet, uns mehr, als alle ſprachſchaffende<lb/>
Akademien, und doch nichts minder, als ein Ge-<lb/>
lehrter iſt — Was wollen wir dieſen denn zum<lb/>
Muſter nehmen? Wollen wir einander Staub<lb/>
in die Augen ſtreuen, um bewieſen zu haben, der<lb/>
Menſch koͤnne nicht ſehen?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Suͤßmilch</hi> iſt hier wieder der Gegner, mit<lb/>
dem ich kaͤmpfe. Er hat einen ganzen Abſchnitt<noteplace="foot"n="*)">Abſchnitt 2.</note><lb/>
darauf verwandt um zu zeigen, „wie unmoͤglich<lb/>„ſich der Menſch eine Sprache habe <hirendition="#fr">fortbilden</hi><lb/>„koͤnnen, wenn er ſie auch durch Nachahmung er-<lb/>„funden haͤtte!„ Daß das Erfinden durch bloße<lb/>
Nachahmung ohne menſchliche Seele Unſinn ſey,<lb/>
iſt bewieſen, und waͤre der Vertheiger des goͤttli-<lb/>
chen Urſprungs dieſer Sache <hirendition="#fr">demonſtrativ</hi> gewiß<lb/>
geweſen, daß es Unſinn ſey; ſo traue ich ihm zu,<lb/>
daß er gegen ihn nicht eine Menge von halbwah-<lb/>
ren Gruͤnden zuſammen getragen haͤtte, die jezt<lb/>
gegen eine menſchliche Erfindung der Sprache durch<lb/><hirendition="#fr">Verſtand</hi>ſaͤmmtlich nichts beweiſen. Jch kann<lb/>
unmoͤglich den ganzen Abſchnitt, ſo verflochten mit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L</fw><fwplace="bottom"type="catch">will-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[161/0167]
Seele ſo ganz, wie ſeinen Koͤrper, aus Einem
Stuͤck fuͤhlet, uns mehr, als alle ſprachſchaffende
Akademien, und doch nichts minder, als ein Ge-
lehrter iſt — Was wollen wir dieſen denn zum
Muſter nehmen? Wollen wir einander Staub
in die Augen ſtreuen, um bewieſen zu haben, der
Menſch koͤnne nicht ſehen?
Suͤßmilch iſt hier wieder der Gegner, mit
dem ich kaͤmpfe. Er hat einen ganzen Abſchnitt *)
darauf verwandt um zu zeigen, „wie unmoͤglich
„ſich der Menſch eine Sprache habe fortbilden
„koͤnnen, wenn er ſie auch durch Nachahmung er-
„funden haͤtte!„ Daß das Erfinden durch bloße
Nachahmung ohne menſchliche Seele Unſinn ſey,
iſt bewieſen, und waͤre der Vertheiger des goͤttli-
chen Urſprungs dieſer Sache demonſtrativ gewiß
geweſen, daß es Unſinn ſey; ſo traue ich ihm zu,
daß er gegen ihn nicht eine Menge von halbwah-
ren Gruͤnden zuſammen getragen haͤtte, die jezt
gegen eine menſchliche Erfindung der Sprache durch
Verſtand ſaͤmmtlich nichts beweiſen. Jch kann
unmoͤglich den ganzen Abſchnitt, ſo verflochten mit
will-
*) Abſchnitt 2.
L
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/167>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.