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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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die ich anführe, werden durchaus nicht gemacht,
um philosophische Versuche zu seyn: die Merkmale
der Kräuter nicht ausgefunden, wie sie Linne clas-
sificiret: die ersten Erfahrungen, sind nicht kalte,
vernunftlangsame, sorgsam abstrahirende Experi-
mente, wie sie der müßige, einsame Philosoph
macht, wenn er der Natur in ihrem verborgnen
Gange nachschleicht, und nicht mehr wissen will,
daß, sondern wie sie würke? Daran war eben
dem ersten Naturbewohner am wenigsten gelegen.
Mußte es ihm demonstrirt werden, daß das oder
jenes Kraut giftig sey? War er denn so mehr als
viehisch, daß er hierinn nicht einmal dem Vieh
nachahmte? und wars nöthig, daß er vom Löwen
angefallen würde, um sich vor ihm zu fürchten?
Jst seine Schüchternheit mit seiner Schwachheit,
und seine Besonnenheit mit aller Feinheit seiner
Seelenkräfte verbunden, nicht gnug, ihm einen
behaglichen Zustand von selbst zu verschaffen, da
die Natur selbst sie dazu für gnugsam erkannt?
Da wir also durchaus keinen schüchternen, abstrak-
ten Stubenphilosophen zum Erfinder der Sprache
brauchen; da der rohe Naturmensch, der noch seine

Seele

die ich anfuͤhre, werden durchaus nicht gemacht,
um philoſophiſche Verſuche zu ſeyn: die Merkmale
der Kraͤuter nicht ausgefunden, wie ſie Linne claſ-
ſificiret: die erſten Erfahrungen, ſind nicht kalte,
vernunftlangſame, ſorgſam abſtrahirende Experi-
mente, wie ſie der muͤßige, einſame Philoſoph
macht, wenn er der Natur in ihrem verborgnen
Gange nachſchleicht, und nicht mehr wiſſen will,
daß, ſondern wie ſie wuͤrke? Daran war eben
dem erſten Naturbewohner am wenigſten gelegen.
Mußte es ihm demonſtrirt werden, daß das oder
jenes Kraut giftig ſey? War er denn ſo mehr als
viehiſch, daß er hierinn nicht einmal dem Vieh
nachahmte? und wars noͤthig, daß er vom Loͤwen
angefallen wuͤrde, um ſich vor ihm zu fuͤrchten?
Jſt ſeine Schuͤchternheit mit ſeiner Schwachheit,
und ſeine Beſonnenheit mit aller Feinheit ſeiner
Seelenkraͤfte verbunden, nicht gnug, ihm einen
behaglichen Zuſtand von ſelbſt zu verſchaffen, da
die Natur ſelbſt ſie dazu fuͤr gnugſam erkannt?
Da wir alſo durchaus keinen ſchuͤchternen, abſtrak-
ten Stubenphiloſophen zum Erfinder der Sprache
brauchen; da der rohe Naturmenſch, der noch ſeine

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[160/0166] die ich anfuͤhre, werden durchaus nicht gemacht, um philoſophiſche Verſuche zu ſeyn: die Merkmale der Kraͤuter nicht ausgefunden, wie ſie Linne claſ- ſificiret: die erſten Erfahrungen, ſind nicht kalte, vernunftlangſame, ſorgſam abſtrahirende Experi- mente, wie ſie der muͤßige, einſame Philoſoph macht, wenn er der Natur in ihrem verborgnen Gange nachſchleicht, und nicht mehr wiſſen will, daß, ſondern wie ſie wuͤrke? Daran war eben dem erſten Naturbewohner am wenigſten gelegen. Mußte es ihm demonſtrirt werden, daß das oder jenes Kraut giftig ſey? War er denn ſo mehr als viehiſch, daß er hierinn nicht einmal dem Vieh nachahmte? und wars noͤthig, daß er vom Loͤwen angefallen wuͤrde, um ſich vor ihm zu fuͤrchten? Jſt ſeine Schuͤchternheit mit ſeiner Schwachheit, und ſeine Beſonnenheit mit aller Feinheit ſeiner Seelenkraͤfte verbunden, nicht gnug, ihm einen behaglichen Zuſtand von ſelbſt zu verſchaffen, da die Natur ſelbſt ſie dazu fuͤr gnugſam erkannt? Da wir alſo durchaus keinen ſchuͤchternen, abſtrak- ten Stubenphiloſophen zum Erfinder der Sprache brauchen; da der rohe Naturmenſch, der noch ſeine Seele

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/166>, abgerufen am 22.11.2024.