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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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Gegentheil, als Kennzeichen göttlicher Erfindung,
wo der Erfinder sich gewiß sehr schlecht zu helfen
gewußt, wenn er so etwas nöthig hatte.

7) Am offenbarsten wird endlich der Fortgang
der Sprvche durch die Vernunft
und der Ver-
nunft
durch die Sprache, "wenn diese schon
"einige Schritte gethan,
wenn in ihr schon
"Stücke der Kunst
z. B. Gedichte, exsistiren,
"wenn Schrift erfunden ist, wenn sich eine
"Gattung der Schreibart nach der andern aus-
"bildet." Da kann kein Schritt gethan, kein
neues Wort erfunden, keine neue glükliche Form
in Gang gebracht werden, wo nicht Abdruck der
menschlichen Seele
liege. Da kommen durch
Gedichte, Sylbenmaaße, Wahl der stärksten
Worte und Farben, Ordnung und Schwung der
Bilder: da kommt durch Geschichte, Unterschied
der Zeiten, Genauigkeit des Ausdrucks: da kommt
endlich durch die Redner die völlige Rundung des
Perioden in die Sprache. So wie nun vor je-
dem solchen Zusatz, Nichts dergleichen vorher in
der Sprache da lag, aber alles durch die mensch-
liche Seele hineingebracht
wurde und hineinge-

bracht

Gegentheil, als Kennzeichen goͤttlicher Erfindung,
wo der Erfinder ſich gewiß ſehr ſchlecht zu helfen
gewußt, wenn er ſo etwas noͤthig hatte.

7) Am offenbarſten wird endlich der Fortgang
der Sprvche durch die Vernunft
und der Ver-
nunft
durch die Sprache, „wenn dieſe ſchon
„einige Schritte gethan,
wenn in ihr ſchon
„Stuͤcke der Kunſt
z. B. Gedichte, exſiſtiren,
„wenn Schrift erfunden iſt, wenn ſich eine
Gattung der Schreibart nach der andern aus-
„bildet.„ Da kann kein Schritt gethan, kein
neues Wort erfunden, keine neue gluͤkliche Form
in Gang gebracht werden, wo nicht Abdruck der
menſchlichen Seele
liege. Da kommen durch
Gedichte, Sylbenmaaße, Wahl der ſtaͤrkſten
Worte und Farben, Ordnung und Schwung der
Bilder: da kommt durch Geſchichte, Unterſchied
der Zeiten, Genauigkeit des Ausdrucks: da kommt
endlich durch die Redner die voͤllige Rundung des
Perioden in die Sprache. So wie nun vor je-
dem ſolchen Zuſatz, Nichts dergleichen vorher in
der Sprache da lag, aber alles durch die menſch-
liche Seele hineingebracht
wurde und hineinge-

bracht
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[138/0144] Gegentheil, als Kennzeichen goͤttlicher Erfindung, wo der Erfinder ſich gewiß ſehr ſchlecht zu helfen gewußt, wenn er ſo etwas noͤthig hatte. 7) Am offenbarſten wird endlich der Fortgang der Sprvche durch die Vernunft und der Ver- nunft durch die Sprache, „wenn dieſe ſchon „einige Schritte gethan, wenn in ihr ſchon „Stuͤcke der Kunſt z. B. Gedichte, exſiſtiren, „wenn Schrift erfunden iſt, wenn ſich eine „Gattung der Schreibart nach der andern aus- „bildet.„ Da kann kein Schritt gethan, kein neues Wort erfunden, keine neue gluͤkliche Form in Gang gebracht werden, wo nicht Abdruck der menſchlichen Seele liege. Da kommen durch Gedichte, Sylbenmaaße, Wahl der ſtaͤrkſten Worte und Farben, Ordnung und Schwung der Bilder: da kommt durch Geſchichte, Unterſchied der Zeiten, Genauigkeit des Ausdrucks: da kommt endlich durch die Redner die voͤllige Rundung des Perioden in die Sprache. So wie nun vor je- dem ſolchen Zuſatz, Nichts dergleichen vorher in der Sprache da lag, aber alles durch die menſch- liche Seele hineingebracht wurde und hineinge- bracht

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/144>, abgerufen am 04.05.2024.